Berliner Mauer

von Dr. Frank Bokelmann, Hamburg

Berlin (West) auf dem Mauerstreifen umrunden:
23.08.1990 bis 03.10.1990 (Text von Mai 1999)

Nichts ist von Dauer - außer die gute alte Mauer ...

Dieser Spruch war vor 10 Jahren unzweifelhaft wahr. Die Mauer war ewig, ewig vor allem für Menschen wie mich, die ein mauerfreies Berlin nicht mehr selbst kennengelernt hatten. Auf unserer Seite, der Westseite, hatten wir uns sehr gut mit dem Unvermeidlichen arrangiert. Zwar war das Grüne für uns echt j.w.d. (janz weit draußen), d. h. zwei schwer bewachte Grenzen und ca. 200 km weit entfernt. Wenn aber die Mauer Berlin auch vom Umland abschnitt, so war sie nicht in der Lage, uns von der Welt abzuschneiden. Den Alexanderplatz konnte man mit einigen Problemen besuchen (oder auch nicht). London, Paris oder New York zu besuchen war dagegen kein größeres Problem als ab Hamburg oder München.

Die Mauer hatte natürlich ein paar ganz praktische Vorteile. Sie verhinderte z. B. das uferlose Wachstum Berlins, dieses ständige ungebremste und krankhafte Wuchern aller mir bekannten großen Städte in ihr Umland mit Vorortsiedlungen, Möbelhäusern usw. im Speckgürtel, das viele Bewohner anderer Großstädte wohl kaum noch wahrnehmen. Die Mauer und - geben wir 's zu - die ihretwegen fleißig sprudelnden Subventionen sorgten innerhalb West-Berlins ganz nebenbei für die Lebendigkeit der Innenstadt, in der anders als in anderen Städten noch viele relativ gute Wohnquartiere, große Supermärkte und Möbelhäuser existieren konnten.

Ich zog einen ganz persönlichen Vorteil aus der Mauer, in deren Schatten mitten in der Innenstadt Ruhe und Beschaulichkeit eingekehrt waren, so z. B. im Tiergarten oder in Kreuzberg. Ich legte entlang der Mauer ungezählte Kilometer zurück - zu Fuß oder per Rad. Die Gegend auf der Westseite der Mauer war ein ideales Naherholungsgebiet. Mag man mich dafür kreuzigen - aber die Mauer war mir ein so vertrauter und alltäglicher Anblick, daß er mich nicht mehr erregte als der Anblick eines Fabrikgebäudes. Wer sich der Mauer mit dem gebührenden Respekt näherte, konnte in ihrem Umfeld auf der West-Berliner Seite einen wirklich sehr entspannten Feierabend verbringen. Da die Mauer vielen mehr oder weniger unbekannten Künstlern als Leinwand diente, konnte der Wanderer auch noch völlig umsonst die wohl größte Bildergalerie der Welt besuchen. Mein jugendlicher Bewegungsdrang hat mich Laufe der Zeit zu einem guten Kenner der Westseite der Mauer gemacht, und zwar fast einmal rundherum.

Dann sah ich an jenem 9. November 1989 vor beinahe 10 Jahren in den Abendnachrichten (ZDF 19.00 Uhr) jene berühmte Pressekonferenz mit Günter Schabowski ... Schon an diesem Abend war mir klar, daß der Mauer, die mein gesamtes bisheriges Leben begleitet hatte, in Kürze größere Veränderungen bevorstehen würden als in den gesamten 25 Jahren zuvor, daß sie zumindest sehr vielen neuen Grenzübergängen weichen müßte. Zuviel war seit August 1989 geschehen, um das Gegenteil wahrscheinlich zu machen. Ich machte mich deshalb sofort zum Potsdamer Platz auf, der von meiner damaligen Wohnung nur gut 4 km entfernt lag und bin von dort zunächst zum Checkpoint Charlie und dann zum Brandenburger Tor gewandert. Ich habe die Mauer an diesem Abend zum letzten Mal intakt gesehen. Als ich sie am Morgen des 10. November um ca. 4 Uhr verließ, waren im Bereich des Brandenburger Tors schon einige Brocken aus der Mauer gebrochen worden, auch wenn auf der Ostseite wieder einigermaßen geordnete Zustände hergestellt worden waren.

Was mir aber noch stärker in Erinnerung bleiben wird, sind die ersten Menschen, die am Checkpoint Charlie über diese Grenze kamen, oft nur wenige 100 m von ihrer Wohnung entfernt und doch so aufgeregt wie bei der persönlichen Erstbesteigung der Eigernordwand. Diese Menschen hatten auch etwas Unerhörtes vollbracht. Sie sind quasi beim Abendspaziergang durch eine der bis dahin am strengsten bewachten Grenzen gegangen, obwohl ja zunächst überhaupt nicht sicher war, wie deren schwer bewaffnete Bewacher reagieren würden, um eine Stadt zu besuchen, von der sie nicht einmal einen Stadtplan hatten. Aber diese Geschichte sollte von einem der damaligen Grenzgänger erzählt werden.

In der Folgezeit passierte genau das zu Erwartende - die Mauer wurde Straße um Straße abgeräumt und machte vielen Grenzübergängen Platz. Das war technisch kein Problem, weil sie in Segmentbauweise erbaut war (übrigens leisten auch heute noch einige Ihrer Teile gute Dienste, z. B. in der Landwirtschaft). Bei einer der ersten Öffnungen am Morgen des 12.11.1989 am Potsdamer Platz war ich dabei und besuchte auf meinen Mehrfachpassierschein Ost-Berlin. Auch die Öffnung der Mauer am Brandenburger Tor am 22.12.1989 habe ich mir noch angesehen. Später ging alles so schnell, daß ich kaum noch mit dem Nachtragen der neuen Übergänge im Stadtplan nachkam.

Nicht nur die damaligen DDR-Bürger waren auf West-Berlin gespannt. Ich war ebenso auf Ost-Berlin und Brandenburg gespannt. Radfahren war dort damals noch sehr gut möglich, weil der Kfz-Verkehr angenehm gering war. Nur der Hintern und die Handgelenke waren mitunter anderer Meinung. Am 12.11.1989 mußte ich allerdings noch ohne Fahrrad nach Ost-Berlin gehen, da die Mitnahme eines Fahrrads nur auf oder in einem Kfz erlaubt war (so ein Blödsinn!), was ich weder wollte noch konnte. An diesem Tag und an diesem Übergang war das Gedränge aber auch zu groß, ein Fahrrad durchzuschieben. Nach dem 15.11.1989, dem Tag an dem man die Grenze erstmals wieder mit dem Fahrrad überschreiten durfte, habe ich viele versäumte Ausflüge ins Umland nachgeholt, was in diesem überwiegend milden Winter ohne Probleme möglich war. Der erste dieser Besuche führte mich am 18.11.1989 über die Glienicker Brücke nach Potsdam.

Bis zum 30.06.1990 habe ich mir auf diese Weise einige heute recht skurril wirkende Stempel in den Paß geholt. Glaube bloß keiner, die DDR-Bürokratie wäre am 09.11.1989 zusammengebrochen. Wenn, dann nur vorübergehend. So wurde mein West-Berliner Reisepaß im Mai/Juni 1990 diverse Male als illegal zurückgewiesen. Auch war die Mauer bis zum 01.07.1990 (Wirtschafts- und Währungsunion) noch bewacht, obwohl sie durch viele "Mauerspechte" z. T. so weit geschwächt wurde, daß ihre Reste schon zusammenbrachen und auf diese Weise der letzte Mauertote im Jahr 1990 zu beklagen war.

Nach dem 01.07.1990 habe ich mich aber aufgemacht, West-Berlin auf dem nun verlassenen Kolonnenweg hinter der Mauer zu umrunden. Ausgelassen habe ich nur den Innenstadtbereich, in dem Radfahren auf dem Kolonnenweg schon im Juli 1990 kaum noch möglich war, weil viel Müll darauf lag und gerade dieser Bereich viele Touristen anzog. Diese Tour habe ich nicht an einem Tag gemacht, sondern - schon wegen der vielen Stops zum Schauen und Fotografien - in drei Touren, die von August bis zum 03.10.1990 stattfanden. So liefert mein Fotoalbum nicht nur ein Bild der Mauer vom Grenzstreifen aus, sondern auch einen Bericht über ihren langsamen Abbau.

Von diesen Touren soll hier berichtet werden.

Tour 1 am 25.08.1990: die Südseiten-Tour von der Stubenrauchstr. (Rudow) bis zur Stubenrauchstr. (Griebnitzsee);
Tour 2 am 23.09.1990: die Nordseiten-Tour von der Falkenseer Chaussee (Staaken) bis zur Wollankstr. (Wedding/Pankow);
Tour 3 am 03.10.1990: die Westseiten-Tour um Neu-Babelsberg herum und von der Spandauer Str. (Kladow) bis zur Falkenseer Chaussee (Staaken).

Leider haben die damals Regierenden nur einen kleinen Rest der Berliner Mauer an der Bernauer Straße übrig gelassen. Sie hatten wohl keine andere Wahl, weil die Mauer nicht besonders schön war, sie gerade im Innenstadtbereich auf wertvollen Flächen stand und viele ältere Berliner sie - die so tief in ihre Familien und Lebensläufe eingeschnitten hatte - vollständig geschliffen sehen wollten. Es war wohl auch kaum möglich, sie gegen die unendlich vielen Mauerspechte zu verteidigen. Dennoch hätte ein wenig mehr von ihr im Stadtbild nicht geschadet. Schließlich hat sie eine ganze Generation lang das Leben dieser Stadt geprägt. Sie abzureißen kann dies nicht ungeschehen machen. Wie man die ganze Perversion und Gefährlichkeit dieser Grenze der nächsten Generation vermitteln will, ist mir angesichts des Disneyland-Restes ein Rätsel.

Der Mauer müssen deshalb Denkmale gesetzt werden, zur Not im Internet.

Diese Seite soll aber auch dem Kolonnenweg ein Denkmal setzen. Zumindest dieser historische Radweg von beeindruckender Länge hätte es verdient gehabt, länger als ca. 1 Jahr in (fast) voller Länge befahrbar zu sein.

Nachtrag Juni 2002: inzwischen wird der "Mauerradweg" wieder etwas liebevoller behandelt und als Tourismus-Magnet entdeckt (siehe "Spurensuche in der Hauptstadt", RadWelt 04/02 Seiten 10 - 12 und "Berliner Mauerradweg", Michael Cramer, Edition "bikeline", Esterbauer Verlag ISBN 3-85000-074-5, 9,90 Euro).

Literaturhinweise:
Heinz J. Kuzdas, Berliner Mauer Kunst, Elefanten Press Berlin 1990,
Helgard Behrend, Die Mauer-Schneise - Ein Berliner Stadtführer, Elefanten Press Berlin 1994

Weitere Links:
Geschichte der Mauer:
Hintergrund: Das geteilte Deutschland 1949 - 1989 vom Deutschen Historischen Museum
Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls - Erinnerung an die Berliner Mauer 1961 - 1989
Berliner Mauer
Fotos der Berliner Mauer
Zur Geschichte der Berliner Mauer - Internet-Projekt des Journalisten Ralf Gründer
Geschichte der Berliner Mauer - Berliner Mauer Online
Die Berliner Mauer (Geschichte und mehr - gut gemacht, lange Ladezeiten!)

Herbst 1989:
Zum 09.11.1989
Chronik der Wende von ARD (Das Erste) und ORB (Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg), aufwendig mit professionellen Inhalten, Treffer auf dem 15.11.1989

Die Zukunft:
Berliner Zeitung 09.11.2004: Trauer um die Mauer
TU Berlin intern Juli 2005: Was von der Mauer übrig blieb
Johannes Cramer - Wieviel Mauer braucht Berlin?

Die praktische Zukunft:
Initiative Griebnitzseeufer für Alle - immer wieder hochaktuell und zuletzt zum Glück erfolgreich:
TAZ 17.10.2007: Radweg-Sperre ist verboten

Ostalgie:
DDR im Web
Kost the Ost

Viele Bilder:
Mauer-Bildergalerien

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Diese Seite wurde erstmals am 12.03.1999 ins Internet gestellt.
Diese Seite wurde aktualisiert am: 28.02.2009