Berlin 22.03.2004 bis 28.03.2004:
Radfahrer und die rechtsabbiegenden Lkw
Tagesspiegel
22.03.2004
Im toten Winkel ist viel zu viel Platz
Schon die Kleinsten rasen mit 30-Gang-Rädern durch die Stadt. Im Straßenverkehr sind Kinder besonders gefährdet
Von Annette Kögel
Die Tage werden länger, die Temperaturen steigen - viele Berliner holen jetzt die Räder aus dem Keller. Doch das Fahrrad wird gerade für Kinder oft zur tödlichen Gefahr: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Radunfälle von Mädchen und Jungen auf Berlins Straßen gestiegen (siehe Kasten unten). Viele Eltern lassen ihren Nachwuchs aus falsch verstandenem Ehrgeiz immer früher aufs Rad und in den hektischen Stadtverkehr - und nur ein Drittel aller kleinen Radfahrer trägt einen Helm, kritisieren Verkehrsexperten. Weil moderne Räder immer schneller werden, unterschätzen Autofahrer deren Geschwindigkeit gerade an Kreuzungen häufig, warnt die Polizei. Um Kinder fit für Schulweg und Großstadtverkehr zu machen, hat die "Berliner Aktionsgemeinschaft Verkehrssicherheit für Schulkinder" am Montag die Aktionswoche "Toter Winkel" gestartet.
In Berlin radeln schon die Kleinsten auf schnellen Dreißig-Gang-Rädern durch die Stadt, sagt Christian Larsen, bei der Senatsstadtentwicklungsverwaltung zuständig für die Verkehrskoordination. Viele Mädchen und Jungen haben Erfahrungen zwar mit Raser-Spielen am PC, sagt der Experte - aber weniger mit der Realität auf der Straße. "Kinder besitzen einen anderen Blickradius, eine andere Wahrnehmungsfähigkeit und haben Probleme, beim Radfahren mehrere Aktionen schnell und zeitgleich zu koordinieren", sagt Ralf-Detlef Spiller, im Polizeipräsidium zuständig für die Verkehrsunfallprävention. Dann zeigt die Ampel eben viel schneller Rot an als vom Kind erwartet, oder das Auto schießt unvermittelt heran - und schon ist es passiert. Rund 75 Prozent der Unfälle bei Rad fahrenden Kindern "haben die Kleinen selbst - oder mitverschuldet. Bei Erwachsenen liegt der Anteil der eigenverschuldeten Unfälle bei 50 Prozent", sagt Polizei-Verkehrslageexperte Andreas Wagner.
Wie schnell alles gehen kann, wird seit gestern in ganz Berlin rund 12000 Grundschulkindern auch in Kooperation mit der BVG, der BSR, dem Fahrlehrerverband und der Fuhrgewerbe-Innung während Vorführungen zum "toten Winkel" verdeutlicht. Am Montag kam auch die Klasse 6a der Schöneberger Schwielowsee-Grundschule zum Dekra-Gelände am Flughafen Tempelhof: Die 12-jährige Celine zum Beispiel stellte sich vor einen der Lkw und musste dann so lange rückwärts weg vom Wagen laufen, bis der Fahrer sie endlich sehen konnte. "Seht ihr, selbst vor dem Fahrzeug gibt es einen toten Winkel ", erklärt Lehrer und Verkehrssicherheitsberater Detlef Haake. Ganz abgesehen von der mangelnden Sicht aus dem Seitenspiegel: Die 12-jährige Gökcem durfte ins Führerhäuschen klettern und beobachten, wie die komplette Klasse im toten Winkel verschwand. Da werde selbst der neue, zusätzliche Außenspiegel, den eine neue EU-Regel ab 2006 für Lkw vorschreibt, wenig helfen, warnen die Experten. Denn Autofahrer unter Zeitdruck vergessen den Rundumblick oft genauso wie abgelenkte Schulkinder.
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Berliner Zeitung
Mittwoch, 24. März 2004
Sattelzug tötet Neunjährigen
In Berlin kamen gestern zwei Radfahrer ums Leben, als Lkws rechts abbiegen wollten
Andreas Kopietz
In Berlin sind gestern zwei Radfahrer von Lkws getötet worden. Am Morgen kam in Charlottenburg ein neunjähriger Junge ums Leben. Gegen 8.15 Uhr waren Darso und seine 43-jährige Mutter mit Fahrrädern auf der Bismarckstraße unterwegs. Darsos Mutter fuhr voraus. An der Ecke Kaiser-Friedrich-Straße wollten die beiden bei "Grün" die Straße überqueren. Doch in diesem Moment bog auch ein Sattelzug nach rechts ab, der das Kind überrollte. Noch am Unfallort starb der Junge. Der 39-jährige Unfallfahrer aus Brandenburg kam mit einem Schock zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus. Die Mutter erlitt ebenfalls einen schweren Schock. Nach Auskunft der Polizei wurde sie von einem Notfallseelsorger nach Hause begleitet.
Der Fahrer der 18-Tonnen-Zugmaschine samt Auflieger hatte eine Fast-Food-Kette beliefern wollen. Was genau passierte, als er abbiegen wollte, das versucht die Polizei jetzt zu rekonstruieren. Die Unfallermittler haben widersprüchliche Zeugenaussagen. So ist ungeklärt, ob der Lkw-Fahrer zunächst gebremst hatte, um die Mutter vorbeizulassen, oder ob er in voller Fahrt abgebogen war. Möglicherweise befand sich der herannahende Junge im toten Winkel des Rückspiegels, vermutet die Polizei. "Auf jeden Fall hat der Fahrer den Unfall verursacht. Er hat nicht die erforderliche Sorgfaltspflicht walten lassen", sagte ein Ermittler gestern Abend. Angesichts des Unglücks appellierte die Polizei an alle Fahrer und Eltern, bei Kindern im Straßenverkehr besonders vorsichtig zu sein. Kinder seien erst ab zehn Jahren in der Lage, die Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge richtig einzuschätzen und sich korrekt im Straßenverkehr zu bewegen.
Am Nachmittag starb dann ein 59-jähriger Radfahrer nach einem Unfall in Tempelhof. Laut Polizei war er an der Kreuzung Gottlieb-Dunkel-Straße, Ecke Teilestraße mit einem Lkw zusammengestoßen. Ersten Ermittlungen zufolge hatte ihn der Lkw-Fahrer übersehen.
Beiden Unfällen scheint eines gemeinsam: Die Fahrer konnten in ihren Rückspiegeln nicht alles sehen. Ein Umstand, den der Fahrradbeauftragte des Senats, Benno Koch, seit längerem anprangert: "Bis zu 50 Prozent aller tödlichen und schweren Unfälle haben mit dem toten Winkel vor oder hinter Lkws zu tun." Koch zufolge liegen 38 Prozent des Sichtfeldes des Lkw-Fahrers im toten Winkel. "Würde man einen vierten rechten Außenspiegel anbringen, dann wären es nur noch vier Prozent." Koch fordert, dass der vierte Spiegel Pflicht wird wie etwa in den Niederlanden. Dort seien die Unfälle im toten Winkel um 42 Prozent zurückgegangen.
Laut Polizei verunglückten in Berlin im vergangenen Jahr 75 Radfahrer und fünf Fußgänger, als Lkws rechts abgebogen sind. Angesichts der gestrigen Unfälle fordert Koch von Berlin eine Bundesratsinitiative für einen vierten Spiegel. Doch Lobbyisten wie die Fuhrgewerbeinnung sind offenbar dagegen, denn so ein Spiegel kostet rund 150 Euro. Tatsächlich legt die Innung Wert auf Veranstaltungen, die für ihre Mitglieder preiswerter sind: etwa eine Verkehrssicherheitsaktion "Gefahr toter Winkel", die in diesen Tagen an Berliner Schulen läuft. Kinder sollen auf die Fahrersitze von Lastern klettern, um sich davon zu überzeugen, dass sie im Rückspiegel wirklich nicht gesehen werden.
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Tagesspiegel
24.03.2004
Tod im toten Winkel
Neunjähriger Junge auf dem Radweg von abbiegendem Lastwagen überrollt. Auch 60-jähriger Radfahrer kam in Tempelhof ums Leben
Von Jörn Hasselmann
Um 9.20 Uhr trug ein Polizist das völlig demolierte Kinderrad und einen rechten Turnschuh von Straße. Eine Stunde zuvor, um 8.15 Uhr, war auf der Kreuzung Bismarckstraße Ecke Kaiser-Friedrich-Straße in Charlottenburg ein neunjähriger Junge gestorben. Auf dem Weg zur Schule getötet von einem weißen Kühlsattelzug mit bunter Burger-King-Werbung. Der Fahrer wollte nach rechts abbiegen und hatte den Jungen auf der Radspur nicht gesehen. Die 43-jährige Mutter des Kindes war direkt vor ihrem Sohn in Richtung Ernst-Reuter-Platz gefahren. Sie wollte ihn zur Schule begleiten.
Ein grausiger Unfall, eine klassische Situation dazu. Denn rechts abbiegende Lastwagen stellen für Radler die größte Gefahr dar. Lastwagenfahrer sehen beim Abbiegen im Rückspiegel nicht genügend - schuld ist der "tote Winkel". Ein zusätzlicher rechter Außenspiegel könnte diesen Nachteil beseitigen. Der Radfahrverband ADFC fordert den Spiegel seit langem als Pflichtzubehör. Innerhalb der EU ist er erst ab 2006 vorgeschrieben (siehe Kasten). Am Montag hatte der Tagesspiegel über die Gefahr berichtet und eine Initiative der Fuhrgewerbe-Innung und der Schulen vorgestellt.
Der Unfall-Lastwagen von der Kreuzung Bismarckstraße mit dem Kennzeichen "LOS" für Oder-Spree hatte nur drei Spiegel. Er erfasste das neunjährige Kind direkt auf der Fahrbahn. Der Junge erlitt schwerste Kopfverletzungen und war sofort tot. Warum der 39 Jahre alte Fahrer, der einen Schock erlitt, das Kind nicht gesehen hat, muss jetzt die Polizei ermitteln. Unklar ist, ob der Lkw noch gebremst hatte, um die Mutter vorbeizulassen "oder ob der Mann in voller Fahrt abgebogen ist", wie es im Polizeibericht heißt. Die Polizei sucht nun dringend Zeugen (Telefon 4664-51230).
Die Bismarckstraße ist eine der am stärksten befahrenen Routen in Berlin. Sie ist zugleich Bundesstraße. "Und sie ist gefährlich, weil bis in die Kreuzungen hinein geparkt wird", sagt Benno Koch vom ADFC Berlin. Auf dem Radweg werde man leicht übersehen. Der Junge wollte mit seiner Mutter entlang der Bismarckstraße geradeaus über die Fußgängerfurt fahren, er hatte ebenso grünes Ampellicht wie der abbiegende Laster. Eine Verkehrsregelung, die für Radler immer wieder tödliche Folgen hat.
Generell hält die Polizei den Innenstadtverkehr für zu gefährlich für Kinder unter zehn Jahren. Denn Kinder bis sechs Jahre hätten ein deutlich kleineres Blickfeld als Erwachsene, sie könnten Gefahren und Geschwindigkeiten schlechter oder noch gar nicht einschätzen und zudem die Quelle von Geräuschen nicht orten. "Erst mit zehn Jahren sind Kinder reif für den Großstadtverkehr", sagt Oliver Hartwich von der Verkehrspolizei. Deshalb beginne die Polizei mit der Radfahrausbildung an Schulen auch erst in der vierten Klasse.
Viele Eltern sind anderer Meinung. "Wie sollen denn Kinder mit zehn, zwölf Jahren den Großstadtverkehr beherrschen, wenn sie vorher unter Verschluss gehalten werden?", schrieb eine Leserin spontan auf den Tagesspiegel-Beitrag vom Montag. "Völliger Unsinn", meint auch der Vorsitzende des ADFC und Berliner Fahrradbeauftragte Benno Koch zu dieser Altersgrenze. Im Vorjahr wurden zwei Jungen von sieben und acht Jahren in Unfällen mit Lastern getötet.
Einen wichtigen Tipp gibt Oliver Hartwich von der Verkehrspolizei: Vater oder Mutter sollten auf alle Fälle hinter ihrem Kind radeln, um es ständig im Blick zu haben.
Bei einem zweiten Unfall wurde am Nachmittag gegen 13.30 Uhr ein 59 Jahre alter Mann in Tempelhof in der Teilestraße von einem ebenfalls rechts abbiegenden Lastwagen überrollt und getötet.
Problem 1: Ampeln
Problem 2: Gesetze
Problem 3: Fehlende Außenspiegel
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PROBLEM 1: AMPELN
Nur ein kleiner Teil der Ampeln in Berlin springen für Radfahrer einige Sekunden früher auf Grün - und verschaffen ihnen damit einen kleinen Vorsprung vor anfahrenden Autos. Doch die Regelung nutzt nur dem, der vorher bei Rot an der Ampel gewartet hat. Wer bei Grün angeradelt kommt, muss damit rechnen, dass Autofahrer seine Vorfahrt übersehen. Mittlerweile hat auch die Polizei eingesehen, dass Radwege auf dem Bürgersteig Radfahrer eher gefährden. Berlin setzt deshalb auf markierte Radspuren auf dem Asphalt. Die sind billiger und sicherer als Radwege, bewährt haben sich die Spuren zuerst an der Kreuzbergstraße und am Süd-West-Korso. Eigene Ampeln für Radfahrer gibt es dort nicht, die Autoampel gilt auch für Radler. Ha
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PROBLEM 2: GESETZE
Die Straßenverkehrsordnung ist meist nicht genügend bekannt. Paragraph 2 etwa schreibt vor: "Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten 10.Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. Auf Fußgänger ist besondere Rücksicht zu nehmen. Beim Überqueren einer Fahrbahn müssen die Kinder absteigen." Letzteres wissen die wenigsten Kinder und Eltern, häufig wird dagegen verstoßen. Laut Unfallstatistik der Polizei gelten Kinder dann zumindest als Mitverursacher des Unfalls - auch wenn der Autofahrer noch so aggressiv und rücksichtslos gefahren oder abgebogen ist. Ha
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PROBLEM 3: FEHLENDE AUSSENSPIEGEL
Der ADFC fordert für Lastwagen seit langem einen vierten rechten Außenspiegel nach holländischen Vorbild. Dieser würde den toten Winkel von 38 auf vier Prozent verringern, sagt der ADFC-Vorsitzender Benno Koch. Der von der EU ab 2006 vorgeschriebene vierte Spiegel verringere den nicht einsehbaren Bereich dagegen lediglich auf 19 Prozent. Zudem schreibe die EU jenen Spiegel nur für größere und neu zugelassene Laster vor, lautet Kochs Kritik. Der holländische Außenspiegel ist in den Niederlanden seit 2003 für alle Laster vorgeschrieben. Die Zahl der tödlichen und schweren Unfälle ist deutlich zurückgegangen, bestätigt die Polizei. "Erfunden" hat den Spiegel ein Vater, der seinen 13-jährigen Sohn verlor: Remy wurde von einem abbiegenden Lastwagen getötet. Der Spiegel kostet nur 150 Euro. Ha
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Tagesspiegel
25.03.2004
DIE SCHWÄCHSTEN
Radler und Fußgänger machen 65 Prozent der Verkehrstoten aus, aber nur 20 Prozent der Verkehrsteilnehmer. Jetzt starben an einem Tag zwei Radfahrer. Das hat die Debatte um Sicherheit neu entfacht. Fragen und Antworten.
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Eine weiße Linie kann Leben retten
Zwei Radler starben an einem Tag - was Experten raten, um Straßen sicherer zu machen: Haltemarkierungen vorziehen, Ampelschaltungen ändern und Radwege auf die Fahrbahn legen
Von Annette Kögel
Nach dem Tod zweier Radfahrer an einem Tag wird die Sicherheit auf Berlins Straßen neu diskutiert. Rund 65 Prozent der 2003 tödlich verunglückten Menschen waren zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs - dabei liegt ihr Anteil am Straßenverkehr unter 20 Prozent, kritisiert etwa der Verkehrsexperte der Grünen, Michael Cramer. Der ADFC schätzt, dass der tote Winkel die Ursache für 50 Prozent aller schweren und tödlichen Unfälle ist. Wir haben Experten gefragt, wie Radfahrer sicherer durch den Verkehr kommen.
Können vorverlegte Haltelinien für Radfahrer an der Ampel Leben retten?
Da sind sich die Experten einig. Dass Radfahrer ein bis zwei Meter vor den Autos warten sollen, damit sie besser gesehen werden, steht auch im "Zehn-Punkte-Programm zur Bekämpfung der Rechtsabbiegerunfälle" von Senat und Polizei. Nach und nach sollen die rund 800 Kilometer Radwege an Ampelkreuzungen umgebaut werden. Eine Statistik zu vorhandenen Haltelinien gibt es nicht. Das Radeln auf den meisten Fahrradwegen ist seit 1998 freigestellt - außer ein blaues Radfahrer-Schild schreibt die Benutzung vor.
Soll es mehr so genannte "Schleusen" für Radfahrer an Ampeln geben?
Das Bild kennt man aus London: Die Autos müssen vier, fünf Meter vor einer Lichtzeichenanlage stoppen - stattdessen dürfen die Radfahrer vor ihnen bis an die Ampel heranfahren. Linksabbieger auf zwei Rädern können sich so frühzeitig links einordnen. Der Radfahrbeauftragte der Senatsverkehrsverwaltung, ADFC-Vertreter Benno Koch, plädiert dafür, dass das auch in Berlin zur Regel wird. Zumal sich die Radfahrschleuse an der Bergmannstraße/Zossener Straße/Friesenstraße bewährt habe. Peter Herold aus dem Stabsbereich Verkehr des Polizeipräsidenten hat da allerdings Zweifel. Vor allem während Gelbphasen könnte die "Schleuse" gefährlich werden, wenn sich Radfahrer noch schnell vor anfahrende Autos drängeln.
Sollte es nach bundesdeutschem Vorbild auch an den 1980 Ampeln in Berlin mehr spezielle Rechtsabbieger-Lichtsignale geben? Dann zeigt die Ampel Grün einzig für Autos, und sie können Radlern erst gar nicht in die Quere kommen.
Was auch in Süddeutschland praktiziert wird, ist in Berlin umstritten. Vom leuchtenden Rechtsabbiegepfeil (nicht zu verwechseln mit dem Grünen Pfeil) hält der Experte der Senatsverkehrsverwaltung nichts. Ihn gibt es zwar schon an rund 150 Berliner Ampeln. Doch letztlich, so der Fachmann, räume man dem Autoverkehr dadurch Vorrang ein - während Radfahrer und Fußgänger länger warten müssen. Das entspräche nicht mehr der Berliner Linie.
Warum kann man nicht einfach Autofahrer beim Rechtsabbiegen an der Ampel - wie vor einem Stoppschild - verpflichten, kurz anzuhalten?
Die Verkehrsexperten der Polizei können sich dafür nicht erwärmen, weil so eine Vorschrift den Verkehrsfluss enorm behindern würde. Außerdem könnte Berlin das nicht selbst beschließen; der Bund müsste die Straßenverkehrsordnung ändern.
Kann man Radfahren sicherer machen, wenn man mehr Fahrradwege auf die Straße verlegt?
Darüber herrscht Einverständnis. Knapp 50 Kilometer Radwege befinden sich in Berlin schon auf der Straße - die für Radler sicherste Variante. Und es sollen immer mehr werden. Denn 81 Prozent der schweren und tödlich verlaufenden Verkehrsunfälle mit Radfahrern tragen sich auf jenen Radwegen zu, die auf Gehwegen liegen. Dabei sind nur zehn Prozent aller Radwege in Berlin solche kombinierten Gehweg-/Radwege.
Braucht Berlin mehr Vorrang-Radfahrerampeln?
An 865 der 1980 Ampeln gibt es sie schon. Die Senatsverwaltung will Radler schützen, indem diese früher losfahren dürfen - und so besser sichtbar werden. Doch die Polizei gibt zu bedenken, dass auch Autofahrer immer öfter darauf schielen - und schon Gas geben, wenn die Radler Grün haben. Dabei zeigt ihre Ampel erst Gelb.
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In Holland ist der tote Winkel fast verschwunden
Seit 2003 haben dort alle Lastwagen einen zusätzlichen Außenspiegel. Die Zahl der Unfälle nahm drastisch ab
Vorbild ist Holland: Seit Anfang 2003 ist dort für alle Lkw über 3,5 Tonnen ein rechter Außenspiegel vorgeschrieben, der den toten Winkel fast völlig beseitigt. Zwischen Erfindung und gesetzlicher Vorschrift vergingen lediglich sechs Jahre. Auslöser war der Tod des 13-Jährigen Remy van Waes, der im Januar 1997 von einem rechts abbiegenden Lkw getötet wurde. Der Vater des Jungen beginnt zu forschen, gemeinsam mit einem Fahrlehrer entwickelte er den "Dobli"-Spiegel. Durch den Druck der Medien akzeptiert das Verkehrsministerium einen Versuch. Dieser war überaus erfolgreich, 90 Prozent der Lkw-Fahrer erkannten Radfahrer mit diesem Spiegel besser. Bereits im Jahr 2002 war die Hälfte aller holländischen Lastwagen damit ausgerüstet. In diesem Jahr sank die Zahl der tödlichen und schweren Verletzungen niederländischer Radfahrer bereits um 42 Prozent. Ein Spiegel kostet dort lediglich 150 Euro, nachgerüstet werden mussten auch alte Fahrzeuge. Der "Dobli" wird an der Front des Lkw angebaut und nicht wie die übrigen Spiegel an der Seite
In der EU soll zwar im Jahr 2006 auch ein zusätzlicher Radfahrer-Spiegel Pflicht werden, der nach Angaben des ADFC jedoch längst nicht so wirkungsvoll ist. Zudem will ihn die EU nur für größere Lastwagen zur Pflicht machen, eine Nachrüstpflicht soll es nicht geben. Ha
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Blind abbiegen bleibt für Lkw-Fahrer die Regel
Erst ab 2006 wird ein Zusatzspiegel Pflicht, der den toten Winkel verkleinert. Wer die Sehhilfe jetzt schon einbaut, braucht eine TÜV-Abnahme
Von Jörn Hasselmann
Der "tote Winkel" wird den Blick von Lkw-Fahrern weiterhin erheblich einschränken. Für Radfahrer bleibt damit die Gefahr bestehen, von einem nach rechts abbiegenden Lastwagen überfahren zu werden - bis zum Jahr 2006: Dann wird ein zusätzlicher Außenspiegel dank EU-Verordnung auch in Deutschland zur Pflicht. Bis dahin jedoch dürfen auch die in Holland seit Anfang 2003 vorgeschriebenen zusätzlichen "Radfahrerspiegel" an deutschen Lastwagen nicht ohne weiteres angeschraubt werden: "Das ist eine wesentliche Veränderung des Fahrzeugs, damit erlöscht die Betriebserlaubnis", erklärt Gert Bretschneider, Geschäftsführer der Fuhrgewerbe-Innung. Nachdem am Dienstag zwei Radfahrer von rechts abbiegenden Lastwagen getötet wurden, forderte der Fahrradbeauftragte des Senats, Benno Koch, Konsequenzen: Was in Holland geht, muss auch in Deutschland möglich sein. Koch kritisierte, dass sich das Verkehrsministerium mit dem Verweis auf die kommende EU-Regelung aus der Verantwortung ziehe. Schon Ende der 80er Jahre hatte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat in einer bundesweiten Kampagne für den vierten Außenspiegel plädiert.
Wie berichtet, soll nun im Jahr 2006 EU-weit ein zusätzlicher rechter Außenspiegel an Lastwagen vorgeschrieben sein. Dieser soll nach Angaben des Fahrradclubs ADFC den toten Winkel von 38 auf 19 Grad verkleinern, während das holländische "Dobli"-Modell (siehe Kasten rechts) den Winkel sogar auf 4 Grad verringert. Bei den beiden Unfällen hatten Lastwagen einen neunjährigen Jungen und einen 59 Jahre alten Mann getötet, weil diese in dem uneinsehbaren Bereich rechts vom Fahrzeug waren.
Wie Benno Koch, zugleich Chef des ADFC, forderte auch der grüne Verkehrsexperte Michael Cramer die Fuhrgewerbe-Innung auf, den holländischen Spiegel freiwillig einzuführen: "Bei 150 Euro pro Lkw ist das zumutbar." Bretschneider sagte dagegen, man wolle abwarten, bis es in Deutschland bauartzugelassene Spiegel gibt. "Dann erst werden wir unseren Mitgliedern den Einbau empfehlen." Derzeit bräuchte theroetisch jeder Lastwagen für diesen Spiegel eine Einzelabnahme beim Tüv - das sei mühselig und teuer. Um den Spiegel flächendeckend einzuführen, müssten die Hersteller von Spiegeln und Fahrzeugen zusammenarbeiten, sagte Bretschneider. Derzeit ist bei Lkw über zwölf Tonnen rechts ein zweiter Weitwinkel-Spiegel vorgeschrieben, der den toten Winkel jedoch nicht abdeckt. Viele Lkw haben über dem Seitenfenster einen dritten, so genannten "Rampenspiegel", der ein besseres Rangieren ermöglicht und ebenfalls nicht vorgeschrieben ist - "freiwilliges" Anbringen ist also prinzipiell möglich.
Die Berliner Spedition Zapf etwa zeigte sich gestern sehr aufgeschlossen gegenüber einem vierten Spiegel. Denn der schütze nicht nur Radfahrer, sondern auch die eigenen Lkw-Fahrer, sagte Firmenchef Klaus Zapf. Schon jetzt seien auch seine kleineren Lastwagen auf freiwilliger Basis mit dem Weitwinkel-Spiegel ausgerüstet. "Zu unserer eigenen Sicherheit", wie Zapf sagt - und um Geld zu sparen. Denn jeder Unfall koste. Voraussetzung für den Einbau eines Spiegels sei aber, dass er eine allgemeine Zulassung habe, hieß es auch bei anderen Speditionen.
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Brüssel, Postfach
VON TAG ZU TAG (Kommentar)
Bernd Matthies fordert die Lastwagenfahrer zum Ungehorsam auf
Oh, wir Deutschen haben die besten Autoingenieure der Welt. Manchmal stellen sie sich zwar ein bisschen doof an, wenn sie beispielsweise Dieselrußfilter für Personenwagen erfinden sollen, aber dafür konstruieren sie praktisch im Schlaf tadellose Warmluftgebläse fürs Cabriofahren im Winter, hektisch piepende Abstandswarner, mit denen auch der letzte Dödel ins Parkhaus findet - und bald wird uns der Auto-Entfernungs-Sensor sogar daran hindern, dem Vordermann bei 180 an der Stoßstange zu kleben.
Ein technisches Wunder nach dem anderen. Nur bei den Lastwagen bleibt es aus, denn immer noch werden Radler beim Abbiegen überrollt, weil es offenbar keine Technik gibt, die dem Fahrer Einblick in den toten Winkel am Straßenrand ermöglicht. Bzw.: Es gibt sie anscheinend, sie ist nicht einmal teuer, aber nur in Holland zugelassen, jenem Land, in dem die Radfahrer traditionell einen gewissen Mehrheitenschutz genießen. Die holländische Lösung ist das Gegenteil von High-Tech, was sie bei uns wohl verdächtig macht: nur ein paar richtig aufeinander abgestimmte und passend geknickte Spiegel.
In Holland funktioniert das. In Deutschland heißt es: Oh nein, die Dinger sind nicht zugelassen, die entsprechende EU-Regelung kommt erst 2006, und bis dahin machen wir erst mal gar nix. Könnte ja jeder kommen! Und wer entsagungsvoll für jeden einzelnen Holland-Spiegel zum TÜV fährt, zahlt für das Gutachten ein Vielfaches des Anschaffungspreises.
Dies ist eine Aufforderung zum zivilen Ungehorsam. Fahrer: Schraubt euch die holländischen Spiegel skrupellos an. Einfach so. Und wenn dann einer nach dem Gutachten fragt, dann sagt ihm, er soll sich einfach an die EU wenden. Brüssel, Postfach.
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Kurzmeldungen
Radfahrer verletzt (paßt zum Thema)
Nuthetal. Ambulant in einem Krankenhaus behandelt wurde am Dienstagnachmittag ein Radfahrer nach einem Zusammenstoß mit einem Auto in Bergholz-Rehbrücke. Die Renaultfahrerin (49) aus Potsdam wollte kurz nach 15 Uhr aus einer Firmeneinfahrt nach rechts in Richtung Drewitzer Straße einbiegen, als sie gegen den Radler stieß. Der Mann (34) aus dem Ort befuhr den Radweg auf der falschen Seite. Er stürzte und verletzte sich am Kopf.
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TAZ Berlin
26.03.2004
Thema des Tages
Lebensgefährliches Radfahren
Die erfreuliche Nachricht: 10 Prozent aller Wege werden nach Schätzungen des ADFC mit dem Rad zurückgelegt, Anfang der Neunzigerjahre waren es nur 6 Prozent. Doch zugleich stieg die Zahl der verunglückten Radfahrer: 2001 starben 10 Radfahrer auf Berliner Straßen, 2002 waren es schon 18. Im vergangenen Jahr kamen sogar 24 Radfahrer ums Leben, bei insgesamt 6.091 Verkehrsunfällen mit Radfahrerbeteiligung. Hauptursachen: Radler auf der falschen Straßenseite und abbiegende Autos, die Radfahrer übersehen haben - ein Fehler mit häufig tödlichen Folgen.
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Im toten Winkel der Politik
Sichtbarkeit ist Sicherheit, sagt der ADFC und fordert Radstreifen und wirksame Rückspiegel für Lkws. Zwei tote Radler stellen bisherige Radwege in Frage. Stadtplaner wollen im Einzelfall entscheiden VON WIBKE BERGEMANN
Zwei tote Radfahrer in einer Woche - der Bedarf an mehr Sicherheit im Verkehr könnte nicht deutlicher sein. Am Dienstagmorgen wurde in Charlottenburg ein Neunjähriger von einem Sattelzug überrollt, am gleichen Tag übersah ein Lkw-Fahrer in Tempelhof einen 59-jährigen Radfahrer. In beiden Fällen wurden die Radfahrer von rechts abbiegenden Lkws erfasst, in beiden Fällen fuhren sie auf einem mit einem Bordstein von der Straße abgesetzten Radweg.
"Wir haben ein Problem. Und das ist der tote Winkel", sagt Benno Koch, ADFC-Sprecher und Fahrradbeauftragter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Eine EU-Regelung sieht schon für Oktober 2006 die Einführung eines vierten Rückspiegels für alle Lkws ab 7,5 Tonnen vor. Der Haken: Dieser zusätzliche rechte Rückspiegel wird den toten Winkel neben dem Fahrzeug nur wenig verringern: von derzeit 38 Prozent auf 19 Prozent.
Die Krümmung ist zu gering, meint Koch. Dabei zeigen die Niederlande, dass es anders geht. Dort ist der so genannte Dobli-Spiegel auch für ausländische Lkws ab 3,5 Tonnen, die durch städtisches Gebiet fahren, vorgeschrieben. Der Dobli-Spiegel verringert den toten Winkel auf nur 4 Prozent. Bis 2002 sank in Holland die Zahl der Radfahrer, die im toten Winkel eines Lkw zu Tode kamen, um 42 Prozent.
Schon seit langem in der Kritik stehen zudem die von der Straße abgesetzten Radwege, auf denen Radfahrer von Autos beim Abbiegen häufig übersehen werden. Fehler beim Abbiegen sind in Berlin die häufigste Unfallursache, sowohl für links als auch für rechts abbiegende Autos. "Das Risiko ist hoch, wenn ein Radfahrer auf einem Radweg plötzlich hinter den parkenden Autos auftaucht", sagt Koch. Deswegen fordert der ADFC seit langem Radstreifen neben der Fahrbahn statt Radwegen. Zudem sind Radstreifen im Bau rund 10 Prozent billiger als Radwege.
Dennoch plant die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung neben Radstreifen auch weiterhin herkömmliche Radwege: "Radstreifen sind nicht immer besser als Radwege", erklärt Heribert Guggenthaler vom Referat Straßenplanung. "Ein Radweg ist angezeigt bei hohen Fahrgeschwindigkeiten, etwa auf Ausfallstraßen, auf denen Tempo 70 erlaubt ist. Weitere Gründe sind zu schmale Fahrbahnen und Straßenbahnstrecken, wo Radfahrer in die Gleisbereiche abgedrängt werden könnten." Nachteilig könne es sein, wenn Ladeverkehr den Radstreifen übermäßig blockiert und die Radfahrer in den fließenden Verkehr ausweichen müssen.
Doch solche Bedingungen treffen wohl auf die wenigsten der Berliner Straßen zu. "Und wenn ich als Radfahrer einen parkenden Lieferwagen umfahre, werde ich gesehen", sagt Koch: "Sichtbarkeit ist Sicherheit."
Das geht so weit, dass Koch die für Radfahrer geöffneten Busspuren für die sichersten Radwege hält. Seit 1997 stehen alle Busspuren den Radfahrern offen. "Bisher ist es zu keinen schweren oder tödlichen Verletzungen gekommen, denn man wird gut gesehen", so Koch.
So ließe sich auch der eine oder andere rabiate Bus- oder Taxifahrer tolerieren, der wenig von einem Meter Sicherheitsabstand hält. So etwas verbucht Koch unter "täglichen Ärgernissen". Denn eigentlich sei das Verkehrsklima gar nicht so schlecht, meint der Fahrradbeauftragte des Senats.
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"Wir tun, was wir können"
Berlin ist auf dem Weg zur fahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands. Sagt die Staatssekretärin für Verkehr, Maria Krautzberger im taz-Interview. Der Weg dahin ist noch weit. Eine Radpolitik des Senats gibt es erst seit 2000
taz: Frau Krautzberger, wie groß ist Ihr Interesse, Berlin zur fahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands zu machen?
Maria Krautzberger: Daran haben wir ein ganz großes Interesse.
Warum werden dann in der Hauptstadt nicht mehr Radwege gebaut?
Wir tun doch, was wir können. Wir haben von Senatsseite erst 2000 überhaupt angefangen, Radwege zu bauen. Das war bis dahin allein Aufgabe der Bezirke. Wir kommen gut voran damit. Es gibt inzwischen sogar einen Fahrradrat, einen Fahrradbeauftragten und ein Fahrradreferat in der Verkehrsverwaltung.
Beispiel Friedrichstraße: neu gebaut - kein Radweg. Was das soll, weiß keiner.
Das war vor dem Jahr 2000.
So eine Fehlplanung würde heute nicht mehr passieren?
Wir setzen uns dafür ein, Berlin flächendeckend mit einem Routennetz auszustatten. Unser Schwerpunkt ist der Osten Berlins, weil da die größten Defizite sind. Bei jeder neuen Planung von Straßen wird jetzt das Rad berücksichtigt. Wir können uns da auch bundesweit durchaus sehen lassen.
Auf den Straßen Berlins sterben jedes Jahr mehr Radfahrer als anderswo. Das ist auch eine Frage der Geschwindigkeit. Warum wird Berlin nicht komplett zur Tempo-30-Zone umgewandelt?
Unser Straßennetz ist schon zu 75 Prozent auf Tempo 30 ausgerichtet. 50 km/h wird nur noch auf den Hauptverkehrsstraßen gefahren. Das Problem ist, dass der flüssige Verkehr dazu verleitet, schneller als 50 zu fahren. Deshalb wird die Fahrt durch die Innenstadt oft schneller als außen herum. Unser Ziel ist es, den Verkehr um die Innenstadt herumzuleiten.
Einige Kinder wären nicht von Lastwagen überfahren worden, wenn die Lkws einen vierten Außenspiegel gehabt hätten, der den toten Winkel überbrückt. Das ist zwar Sache des Bundesgesetzgebers, aber was tut das Land, um die hiesigen Spediteure dazu zu bringen, diesen Spiegel anzubringen?
Geld geben wir nicht. Dagegen steht die finanzielle Situation des Landes. Wir werden aber noch mal an die Berliner Lkw-Fahrer über die Fuhrgewerbeinnung herantreten und sie bitten, freiwillig einen solchen Spiegel anzubringen.
Warum spielt die Innenstadtmaut, wie sie London seit einiger Zeit mit Erfolg erhebt, in Berlin keine Rolle? Das würde den Verkehr doch stark verringern.
London hat viel mehr Autoverkehr als wir. Wir setzen auf Parkraumbewirtschaftung, um die Innenstadt als Ziel für Autofahrer uninteressanter zu machen.
Wann also wird Berlin die fahrradfreundlichste Stadt der Republik sein.
Sobald wie möglich. Aber vielleicht reicht es ja erst mal, die fahrradfreundlichste Hauptstadt Europas zu werden.
INTERVIEW: T. DENKLER
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Berliner Morgenpost
26.03.2004
ADFC warnt vor Radwegen auf Bürgersteig
Der Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Berlin, Benno Koch, sieht die Ursache für tödliche Fahrradunfälle in baulich falsch angelegten Radwegen. "81 Prozent der schweren und tödlichen Radunfälle im Zusammenhang mit Abbiegevorgängen finden auf Radwegen statt, obwohl nur zehn Prozent der Straßen einen Radweg haben."
Erst am Dienstag war ein neunjähriges Kind auf dem Fahrrad tödlich verunglückt, weil es - vom Radweg auf dem Bürgersteig kommend - an der Kreuzung Bismarckstraße und Kaiser-Friedrich-Straße von einem Lkw-Fahrer übersehen und überrollt worden war.
Fahrradfahrer seien auf Radwegen außerhalb der Fahrbahn und hinter den geparkten Autos für die Autofahrer nicht sichtbar, sagt Koch. So komme es an Kreuzungen zu Unfällen, weil die Radfahrer von Auto- und Lkw-Fahrern aufgrund des Toten Winkels schlichtweg übersehen werden. Radfahrer würden deshalb, so paradox das auch klingen mag, auf der Fahrbahn sicherer leben als auf dem Radweg.
Der ADFC fordert neben der Einführung von Spiegeln, die den Toten Winkel verringern, die Aufhebung der Radwege-Benutzungspflicht. Neue Radwege sollten nur noch auf der Fahrbahn angelegt werden. Die Haltelinie für Fahrräder soll an Ampeln vier bis fünf Meter weiter vorn liegen, damit die Fahrradfahrer bei Rot nicht im Toten Winkel stehen. Mit dem Konzept für den Ausbau des Veloroutennetzes, das 40 neue Radspuren auf der Fahrbahn vorsieht und am 6. April von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) abgesegnet werden soll, sei man auf einem guten Weg. Koch: "Aber gerade jetzt wird an der Schönhauser Allee zwischen Tor- und Schwedter Straße ein neuer Radweg auf dem Bürgersteig fertig.
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Berliner Zeitung
26.03.2004
Autor: Peter Neumann
Wer besser sieht, fährt niemanden um
Der Senat will auf 28 Straßen Spuren für Radler markieren und so das Unfallrisiko senken
Sehen und gesehen werden: Nach diesem Motto will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 28 Straßen für Radfahrer sicherer machen. Dort sollen noch in diesem Jahr auf den Fahrbahnen Extra-Spuren für Radler markiert werden. Dadurch wächst das Netz der Radstreifen in Berlin um rund 40 auf fast 100 Kilometer - diesmal vor allem auf großen Magistralen wie der Leipziger Straße in Mitte oder der Martin-Luther-Straße in Schöneberg. "Radstreifen dienen der Verkehrssicherheit", sagte Verkehrs-Staatssekretärin Maria Krautzberger (SPD). Die Liste mit den 28 Straßen soll nun auf politischer Ebene und mit der Berliner Polizei abgestimmt werden.
Nach den beiden tödlichen Radfahrerunfällen vom Dienstag setzen sich die Senatsplaner dafür ein, das Unfallrisiko rasch zu senken. Wie berichtet, waren der neunjährige Dersu in Charlottenburg und ein 59-jähriger Mann in Tempelhof ums Leben gekommen, weil sie von abbiegenden Lkw-Fahrern übersehen wurden. Der Junge war von einem Radweg, der auf dem Bürgersteig verläuft, auf eine kreuzende Straße gefahren und dort überrollt worden.
Derartige "Gehweg-Radwege" gelten für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) als Sicherheitsrisiko, weil sie von den Auto- und Lastwagenfahrern oft schwer einsehbar sind. So weit will Krautzberger nicht gehen. "Doch wir müssen dafür sorgen, dass Radfahrer im Straßenverkehr besser sichtbar sind", sagte die Politikerin.
Vielerorts gebe es genug Platz für Radstreifen, ohne dass sich der fließende Autoverkehr groß einschränken müsste. Das gilt selbst für die schmale Hochstraße (Wedding): Würde auf beiden Seiten je eine Radlerspur markiert, blieben Autos und Lastwagen immer noch drei Meter pro Richtung. Auf der Gitschiner Straße in Kreuzberg könnten trotz zwei Meter breiter Radstreifen die Kraftfahrzeuge weiterhin auf zwei Fahrspuren pro Richtung rollen. Nur wer sein Auto parken will, müsste sich dort umstellen: Die Stellplätze sollen von den Rändern auf den Mittelstreifen verlegt werden. Einen solchen Plan gibt es auch für die Ostseestraße.
In einigen Fällen müsste der Platz für den fließenden Verkehr allerdings zu Gunsten der Radfahrer beschränkt werden - vor allem auf überdimensionierten Verkehrswegen im Ostteil. So soll auf der Heinrich-Heine-Straße die Zahl der Fahrstreifen pro Richtung von zwei auf eins halbiert werden. Die Breite und die Stralauer Straße wären mit zwei statt drei Spuren pro Richtung immer noch breit genug. Dafür soll es an den Rändern dieser Straßen in Zukunft mehr Parkplätze geben.
Radstreifen sind grundsätzlich eine "anerkannte Möglichkeit", die Sicherheit zu erhöhen, sagte Polizeidirektor Wolfgang Klang. Allerdings könnten neue Gefahren entstehen - zum Beispiel, wenn Autofahrer Radler auf der Straße überholen. "Diese Risiken müssen Straße für Straße gegeneinander abgewogen werden", forderte er. Allerdings hätte es auf den bestehenden Fahrradstreifen in Berlin bisher keine gravierenden Probleme gegeben.
Mit ihrer Planung folgt die Verwaltung der Vorgabe des Stadtentwicklungsplans Verkehr. Michael Cramer (Grüne) sieht die Pläne positiv: "Der Senat darf keine Zeit mehr vertun." Die SPD-PDS-Koalition will die Senatsbehörde mit einem Antrag an das Abgeordnetenhaus unterstützen. Christian Gaebler (SPD): "Wir sollten alles tun, um Radfahren nicht nur sicherer, sondern auch attraktiver zu machen." Die Radstreifen würden Lücken im Veloroutennetz schließen. Jutta Matuschek (PDS): "Die beiden tragischen Unfälle belegen, wie wichtig die geplanten Radstreifen sind."
Gestern ereignete sich erneut ein Unglück. Eine Radlerin überquerte mit ihrer zweijährigen Tochter die Treskowallee an der Ecke Marksburgstraße in Karlshorst. Dabei übersah sie offenbar einen herannahenden Pkw, teilte die Polizei mit. Bei dem Zusammenstoß wurde das Kind auf die Fahrbahn geschleudert. Es kam mit schweren Verletzungen in eine Klinik. Es befindet sich aber nicht in Lebensgefahr. Anlieger fordern an dieser Stelle seit längerem eine Ampel.
Mehr Sicherheit // Im toten Winkel: Rund drei Viertel aller schweren und tödlichen Fahrradunfälle ereignen sich auf Radwegen, die auf dem Bürgersteig verlaufen, stellt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) fest. Hinter parkenden Autos sind die Radler oft dem Blick entzogen. An Knotenpunkten besteht die Gefahr, dass sie übersehen werden. Im vergangenen Jahr wurden fünf Radfahrer durch rechts abbiegende Lkw überrollt und getötet.
Radstreifen auf den Fahrbahnen können diese Gefahr entschärfen. Dort sind die Fahrradfahrer im Blickfeld der Kraftfahrer. Allerdings fühlen sich dort unerfahrene oder junge Radler oft nicht wohl.
Rund 55 Kilometer Radstreifen gibt es in Berlin zurzeit. Rund 600 Kilometer "bauliche Radwege", meist abseits der Fahrbahn neben dem Fußgängerbereich, kommen hinzu. Sie müssen von den Radfahrern aber nur dann benutzt werden, wenn dies durch Verkehrszeichen angeordnet wird. Dies ist in Berlin auf rund 150 Kilometer Radweg der Fall. Gemeinsame Geh- und Radwege erreichen eine Länge 100 Kilometern, Radwege außerhalb des öffentlichen Straßenlands (zum Beispiel in Parks) sind 180 Kilometer lang. Rund 50 Kilometer Busspuren in Berlin dürfen von den Fahrradfahrern mitbenutzt werden.
Auf 28 Straßen will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Radstreifen markieren - so ihr Vorschlag.
Bezirk Mitte: Heinrich-Heine-Straße, Leipziger Straße zwischen Leipziger Platz und Wilhelmstraße (entweder beidseitig oder nur auf der Südseite), Hochstraße, Wiesenstraße, Mollstraße, Stralauer Straße, Alt-Moabit zwischen Kirch- und Paulstraße, Werderscher Markt, Breite Straße, Köpenicker Str.
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg: Lichtenberger Straße, Mühlenstraße, Gitschiner Straße, Holzmarktstraße.
Bezirk Pankow: Ostseestraße, Storkower Straße zwischen Kniprode- und Greifswalder Straße, Grellstraße, Greifswalder Straße.
Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf: Richard-Wagner-Straße.
Bezirk Schöneberg-Tempelhof: Martin-Luther-Straße.
Bezirk Reinickendorf: Gorkistraße.
Bezirk Lichtenberg: Vulkanstraße, Frankfurter Allee östlich Alfredstraße, Alt-Friedrichsfelde (nur nördliche Seite).
Bezirk Steglitz-Zehlendorf: Löhleinstraße, Saargemünder Straße, Englerallee, Pacelliallee.
Karte: Auf breiten Straßen will der Senat Platz für Radler abzweigen. Die SPD-PDS-Koalition begrüßt das Konzept der Verwaltung.
Foto: Mehr Platz für Fahrradfahrer: Auf 28 Straßen in Berlin sollen noch in diesem Jahr Fahrspuren für die Radler gekennzeichnet werden - so wie hier auf dem Boulevard Unter den Linden.
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Berliner Kurier (Leserbriefe)
Politik handelt zu langsam
LESER fordern den zusätzlichen Lkw-Spiegel sofort Licht an!
Schon wieder zwei getötete Radfahrer auf Berlins Straßen. Forderungen nach dem vierten Außenspiegel sowie nach Unterfahrschutzvorrichtungen oder anderen passiven Schutzeinrichtungen an Lkw gibt es seit Jahren. Doch die Politik sieht wohl keinen Handlungsbedarf. Da wurde wegen eines vermeintlichen Sozialhilfeschnorrers in Übersee schneller reagiert - innerhalb von nicht mal einem Monat.
Mein Tipp an alle Radfahrer: Ohne Beleuchtung kann man heranrasende Pedalritter selbst als Pkw-Fahrer oftmals nur erahnen. Also - Licht an!
Hartmut Renner, Köpenick
Sehr betroffen
Die beiden Unfälle mit Radlern machen mich sehr betroffen. Ampelanlagen, Gesetze und ein fehlender vierter Spiegel werden bemüht, diese Unfälle erklärbar zu machen. Wenn wirklich Spiegel plus TÜV-Abnahme 100 Euro kosten, dann soll Berlin das bezahlen. Es kann sich ja auch ein Tempodrom leisten.
Hans-F. Selle,
Kreuzberg
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Tagesspiegel
28.03.2004
Eine Frage des Takts
Pro & Contra: Soll es an Ampeln Vorrangschaltungen für Radfahrer geben?
Zwei Radfahrer starben allein in der vergangenen Woche durch rechts abbiegende Lastwagen: Beide Radfahrer wurden übersehen, beide waren im "toten Winkel". Seitdem wird diskutiert, wie Radler besser geschützt werden können. Der Radfahrclub ADFC fordert einen zusätzlichen Außenspiegel für Lkw und weiß markierte Radspuren auf der Fahrbahn. Die sind deutlich billiger und sicherer als die Radwege auf dem Bürgersteig. Derzeit gibt es 55 Kilometer Radspuren, weitere 40 Kilometer sind geplant. Für die bestehenden Radwege empfiehlt die Polizei Vorrangschaltung für Radfahrer - die Radampel springt dann einige Sekunden vorher auf Grün. So bekommen Radfahrer an Ampeln einen kleinen Vorsprung vor anfahrenden Autos und kommen ins Sichtfeld der Autofahrer. Denselben Zweck haben einige Meter vorgezogene Haltelinien an Kreuzungen. Solche Vorrangschaltungen gibt es bislang nur selten in der Stadt; in der Regel an Kreuzungen, die in den vergangenen Jahren umgebaut wurden. Um alle Ampeln in der Stadt neu zu schalten, fehlt nach Angaben der Verkehrsverwaltung das Geld. Aber auch bei den neuen Ampeln ist das Ergebnis nicht immer unbedingt radfahrerfreundlich. So leuchtet das Radfahr-Grün am Potsdamer Platz zum Beispiel nur eine knappe Sekunde früher auf.
In der Regel bevorzugen die vor allem in den 80er Jahren installierten Radfahrerampeln die Autofahrer. Denn ihre kleinen Lichter springen wesentlich früher auf Rot. Ein Beispiel: An der Kreuzung Anhalter Ecke Stresemannstraße (hier wurde 1999 eine Radfahrerin von einem rechts abbiegenden Lkw getötet) zeigt die Radfahrerampel zehn Sekunden früher Rot. Gesamte Grünzeit für die Radler: acht Sekunden. Diese Benachteiligung ist kein Versehen. Die Autofahrer haben deutlich längere Grünzeiten, weil sie auch schneller über die Kreuzung kommen.
Vor fünf Jahren wurde begonnen, die Radampeln abzubauen, nachdem per Gesetz die meisten Radwege aus der Benutzungspflicht entlassen wurden. Denn Radfahrer auf der Straße müssen sich bislang nach der Autoampel richten, dies schreibt die Straßenverkehrsordnung vor. Um Autofahrern nicht längere Rotzeiten zuzumuten, griff die Senatsverkehrsverwaltung an vielen Kreuzungen zu einem Trick: Zehn Meter vor der Ampel wird der ansonsten freigegebene Radweg durch ein blaues Schild benutzungspflichtig erklärt. Radfahrer werden dort mit einem Schlenker auf den Bürgersteig-Radweg geleitet. Der ADFC kritisiert das als extrem gefährlich: Denn dort geraten Radfahrer wieder in den toten Winkel. Jörn Hasselmann
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Tagespiegel LESERBRIEFE (28.03.2004)
Wo sind die Kläger? Betrifft: "Tod im toten Winkel" vom 24. März
Schon wieder zwei getötete Radfahrer auf Berlins Straßen - und nichts passiert: Forderungen nach dem vierten Außenspiegel sowie nach Unterfahrschutzvorrichtungen bzw. anderen passiven Schutzeinrichtungen an Lkw gibt es seit Jahren. Doch die Politik scheint keinen (gesetzgeberischen) Handlungsbedarf zu sehen. Da wurde wegen eines vermeintlichen Sozialhilfeschnorrers schneller reagiert - innerhalb von nicht mal einem Monat.
Ist der Gesellschaft die Einsparung von einigen hundert Euro Auslandssozialhilfe mehr wert als ein Menschenleben? Es wird um viel geklagt, warum findet sich kein Kläger, der diese Schutzvorrichtungen an Lkw in Straßburg einklagt?
Hartmut Renner, Berlin-Köpenick
Neue Ampelschaltungen Betrifft: "Tod im toten Winkel" vom 24. März
Die neuerliche Debatte um mehr Sicherheit beim Fahrradfahren in der Großstadt zeigt doch nur, dass die derzeitige Regelung für Radfahrer an Ampeln viel zu gefährlich ist. Wie wäre es denn mit dem pragmatischen Ansatz (wie teilweise schon umgesetzt), dass die Ampelschaltungen verändert werden? "Grün" für Radfahrer und Fußgänger (in alle Richtungen), "Rot" für alle Autos an Kreuzungen.
Dies wäre sicherlich ein Beitrag zu mehr Verkehrssicherheit und, mal ehrlich, diese kurze Verzögerung nehmen wir Autofahrer (die zumindest ja gelegentlich auch mal Radfahrer sind) für unsere eigene Sicherheit doch gerne in Kauf.
Dagmar Hohl, Berlin-Charlottenburg
Gesetze schnell ändern Betrifft: "Tod im toten Winkel" vom 24. März
Mit Entsetzen habe ich gelesen, dass an einem Tag sogar 2! Radfahrer von rechts abbiegenden Lkw getötet wurden. In Ihrem Artikel schildern Sie die holländische Variante der Lkw- Ausstattung mit einem 4. rechten Außenspiegel. Es wird erfahrungsgemäß kaum einer eine solche Nachrüstung freiwillig vornehmen. Deshalb ist es nicht zu verstehen, warum unsere Politiker nicht kurzfristig ein entsprechendes Gesetz durchboxen, und zwar für alle Lkw, nicht nur die neuen! Die Bürokraten sollten über ihren eigenen Schatten springen und sich nicht wieder an Fristen gebunden fühlen. Es können auch einmal ihre Kinder betroffen sein. Und nicht zu vergessen sind die armen Lkw-Fahrer, die ihr ganzes Leben lang eine Schuld mit sich herumtragen müssen.
Dr. Barbara Pannhorst, Berlin-Wilmersdorf
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Frankfurter Allgemeine Zeitung
29.03.2004
Verkehrssicherheit
In den toten Winkel sehen
Von Mechthild Küpper
29. März 2004 Es wird in Deutschland keine Statistik darüber geführt, wie viele Unfälle durch den "toten Winkel" eines Lastwagens beim Rechtsabbiegen entstehen. Aber in der vergangenen Woche kamen allein in Berlin zwei Radfahrer ums Leben, die "alles richtig gemacht" hatten, wie der Fahrradbeauftragte des Senats, Benno Koch, am Montag einigen Schulkindern vor dem Roten Rathaus erklärte.
Ein neunjähriger Junge und ein 59 Jahre alter Mann waren auf einem eigens für den Radverkehr ausgewiesenen Weg unterwegs gewesen. Die Ampeln zeigten ihnen Grün. Doch zwei Lastwagen, die nach rechts abbogen, erfaßten und töteten sie.
Unfälle verhinderbar
Viele Menschen und Institutionen wirken daran mit, daß solche Opfer noch zum Verkehrsalltag gehören. Der seit langem bekannte Tote-Winkel-Effekt gehört zu den lediglich vier Prozent der Unfallursachen, die nicht auf Fehlentscheidungen von Menschen zurückgehen, sondern auf die Umgebung oder das Fahrzeug zurückgeführt werden können. Seit einigen Jahren ist sogar bekannt, daß man mit einem Spiegel, der 150 Euro kostet, solche Unfälle in vielen Fällen verhindern kann. In den Niederlanden sind seit dem 1. Januar 2003 sämtliche Lastwagen, die mehr als 3,5 Tonnen wiegen, mit einem vierten rechten Außenspiegel oder einer Kamera ausgerüstet, die dem Fahrer den toten Winkel sichtbar machen.
Das Problem sei bekannt, die Lösung sei bekannt - nun müsse Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) endlich handeln, sagte Koch. Den Hinweis auf eine im Jahr 2006 in Kraft tretende EU-Regelung akzeptiert Koch nicht: Es würde viel zu lange - nämlich bis 2021 - dauern, bis auch nur die mehr als 7,5 Tonnen schweren Fahrzeuge umgerüstet wären. Die Niederlande hätten vorgemacht, wie man im Alleingang die Gefahr verringern könne. Die deutsche Politik müsse das nur nachahmen. Eigene Forschung und Produktentwicklung seien nicht notwendig.
Der Vater eines Opfers hat den „Trixie-Spiegel“ entwickelt
Zudem gab die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vergangene Woche bekannt, daß Spediteure, die an ihren Lastwagen zusätzliche Frontspiegel montieren wollen, dafür keine Genehmigung oder Zulassung benötigen. Der Berliner Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) machte sich denn auch die Forderung zu eigen und forderte die Berliner Fuhrgewerbeinnung auf, mit der Umrüstung der Spiegel zu beginnen. Der ehrenamtlich arbeitende Fahrradbeauftragte Koch - zugleich Berliner Vorsitzender des Fahrradclubs ADFC - zeigte einigen Dutzend Kindern vor dem Rathaus, wie groß die Fläche des toten Winkels eines Lastwagens ist, in der sie vom Fahrer selbst bei größter Umsicht mit den herkömmlichen Spiegeln nicht gesehen werden können.
In Berlin hat man schon vor Jahren versucht, das Problem des toten Winkels zu lösen: "Trixi-Spiegel", mit denen die Fahrer das Umfeld besser überblicken können sollten, wurden an einigen Kreuzungen aufgehängt. Sie waren nach Beatrix Willburger benannt, die 1994 in Bayern von einem Betonmischer überfahren wurde. Ihr Vater hatte den Spiegel entwickelt, der in Bayern und Berlin von 1996 bis 1998 getestet wurde. Er setzte sich nicht durch und wurde nicht in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen, weil er unter anderem immer wieder justiert und gereinigt werden mußte und oft zerstört wurde.
Bessere Erfolgsaussichten
Die neue Lösung hat bessere Aussichten. Der holländische Marketingspezialist Wilbert von Waes legte nun am Montag dar, wie er nach dem Tod seines damals 13 Jahre alten Sohnes im Jahr 1997 der Unfallursache nachgegangen und auf eine schlichte und billige Lösung gestoßen war. Gemeinsam mit einem Fahrlehrer habe er den "Dobli"-Spiegel entwickelt, der den toten Winkel von 38 auf vier Prozent verkleinert. Zwei Fernsehsendungen und eine Rundfunksendung in Holland hätten die Bevölkerung aufgeklärt. Danach sei der Druck auf die Behörden so groß geworden, daß sie handelten.
Innerhalb von sechs Jahren sei das Tote-Winkel-Problem an holländischen Lastwagen gesetzlich und praktisch gelöst worden. Im Jahr 2002 gab es dort 39 Prozent weniger schwere und tödliche Unfälle im toten Winkel als im Jahr 1997 und 42 Prozent weniger als 2001. In Deutschland kamen dagegen allein im Jahr 2002 im Verkehr 583 Fahrradfahrer ums Leben, allein in Berlin waren es im vergangenen Jahr 24. Der ADFC schätzt, daß die Hälfte von ihnen zum Opfer des toten Winkels wurde. Verglichen mit dem niederländischen Modell und dem Stand der Technik, sei die von der EU vorgesehene Regelung "mehr als halbherzig", schreibt Benno Koch in der Zeitschrift des Fahrradclubs.
"Ist das alles?" - "Ja, das ist alles."
Wilbert von Waes sagte, durch den leicht konvexen Spiegel, der nicht seitlich, sondern rechts vorn am Wagen angebracht wird, erhalte der Fahrer fast vollstädig das Sichtfeld zurück. "Ist das alles?" sei er gefragt worden, nachdem er den Effekt des Spiegels vorgeführt hatte: "Ja, das ist alles." Er bezog sich auf die wissenschaftlichen und technischen Untersuchungen, die in Holland und Belgien angefertigt worden waren, und bot sie den deutschen Behörden an.
Auf dieser Grundlage könnten ähnlich spektakuläre Verbesserungen auch für deutsche Radfahrer und Lastwagenfahrer rasch möglich werden. Die Kosten der holländischen Lösung könnten es nicht sein, die deutsche Stellen vom Handeln abhielten, meint Koch. Schließlich werde der "volkswirtschaftliche Schaden" eines deutschen Verkehrstoten auf 1,1 Millionen Euro beziffert.
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Tagesspiegel
30.03.2004
Ein Spiegel, der Leben rettet
Schüler zeigten, wie klein der tote Winkel sein könnte
Elf Kinder der Ersten Grundschule aus Prenzlauer Berg halten vor dem Roten Rathaus fest ihr Banner in den Händen. Darauf ist zu lesen: "Hier wird der tote Winkel beseitigt." Mehrere Schulklassen waren am Montag der Einladung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) gefolgt und demonstrierten vor einem Lastwagen, wie einfach eine ganze Schulklasse im "toten Winkel" des Fahrzeugs verschwinden kann. Ein einfaches Gegenmittel ist ein vierter rechter Außenspiegel, der am Roten Rathaus vorgestellt wurde. Welche Folgen es haben kann, wenn Radfahrer oder Fußgänger im Rückspiegel eines Lkw übersehen werden, wurde in der vergangenen Woche deutlich, als in Berlin an nur einem Tag ein neunjähriger und ein 59-jähriger Radfahrer im toten Winkel zweier Lkw starben. Im vergangenen Jahr wurden auf Berlins Straßen 24 Radfahrer getötet.
Etwa die Hälfte aller tödlichen Fahrradunfälle in Deutschland ereignen sich im toten Winkel. Dabei zeigt das niederländische Beispiel, dass die Gefahr solcher Unfälle auf einfache Weise verringert werden kann. Der so genannte Dobli-Außenspiegel, ein an der Frontscheibe des Lastwagens angebrachter, leicht konvexer Spiegel, vergrößert durch seinen höheren Krümmungsradius das Sichtfeld des Fahrers und verringert den toten Winkel von 38 auf vier Prozent. Seit Januar 2003 gehört der Dobli-Spiegel in Holland für alle Lkw zur Pflichtausstattung, und seither ging die Zahl der tödlichen Fahrradunfälle im toten Winkel um 42 Prozent zurück.
Zumindest bei großen Lastwagen könnte der Spiegel ab einer Höhe von zwei Meter problemlos angebracht werden. Extra-Genehmigungen, wie es zunächst hieß, seien dafür nicht erforderlich, sagte Hans-Ulrich Sander vom TÜV Rheinland. Auch die Rechtsabteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sieht kein Problem in der Montage.
Erst ab Oktober 2006 soll EU-weit ein ähnlicher Spiegel zwingend eingeführt werden, allerdings wird dieser den toten Winkel lediglich halbieren und soll zudem nur bei Lastern ab 7,5 Tonnen eingesetzt werden. Für Benno Koch, Vorsitzender des ADFC Landesverbandes Berlin und Fahrradbeauftragter des Senats, ist klar: "Wer mehr in seinem Spiegel sieht, fährt aufmerksamer, und wer aufmerksamer fährt, braucht mehr Zeit, und das ist wohl nicht erwünscht. Dieser Spiegel kostet komplett 150 Euro, und für mich gibt es keinen Grund, warum man ihn nicht sofort bei allen deutschen Lkw montieren sollte."
Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) appellierte an alle Lkw-Fahrer und an die Fuhrgewerbeinnung, ihre Fahrzeuge im Vorgriff auf offizielle Regelungen umzurüsten. Christian Gaebler, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, forderte BVG, Stadtreinigung, Feuerwehr und Polizei auf, ihre Fahrzeuge schon jetzt freiwillig umzurüsten. Damit könne das Land Berlin Vorbild sein. Der Verkehrsexperte der Grünen, Michael Cramer, forderte den Senat auf, eine Bundesratsinitiative zur Einführung zu starten. he/kt
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TAZ
30.03.2004
Kampf dem tödlichen Winkel
Nachdem letzte Woche zwei Radfahrer starben, appelliert Senator Strieder ans Fuhrgewerbe: Firmen sollen vierten Außenspiegel montieren, der erst ab 2006 Pflicht wird. ADFC stellt neues Modell vor
von CHRISTIAN VATTER
"Man müsste mal die Radfahrer aufklären, dass sie sich nicht neben einen Lastwagen begeben, der ist nun mal stärker", sagt man bei Barth-Umzüge in Berlin. Deren Fahrzeuge sind mit drei rechten Außenspiegeln ausgestattet. Edelgard Wormke von Barth: "Wir planen nicht, da was zu verändern." Auch mit einem vierten Spiegel habe man als Fahrer noch einen toten Punkt. "Sollen doch die Radfahrer mal bei Rot halten."
In den Niederlanden ist seit dem ersten Januar 2003 ein vierter Außenspiegel für alle Lastwagen ab 3,5 Tonnen Pflicht. In Deutschland reichen momentan nur drei. Ab 2006 muss in ganz Europa ein vierter Spiegel installiert werden, aber nur für Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen. Nach zwei tödlichen Radunfällen allein in der letzten Woche fragt sich so mancher, ob das nicht viel zu spät ist. Gestern appellierte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) an die Berliner Fuhrgewerbe, freiwillig einen vierten Außenspiegel an der rechten Seite anzubauen.
Bei Robben und Wientjes - dem bekannten Lastwagen-Verleih - sind die Fahrzeuge mit zwei Außenspiegeln ausgestattet. Verliehen werden Fahrzeuge bis zu 7,5 Tonnen. "Die zwei Spiegel decken aber den Seitenbereich relativ gut ab", betont Ulrich Wientjes. Er hält nichts davon, ohne verkehrstechnische Untersuchungen weitere Spiegel zu installieren. "Ein vierter Spiegel bringt eine weitere Sichtverdeckung durch sich selbst - das ist auch gefährlich."
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) forderte gestern vom Bundesverkehrsminister, sofort zu handeln und nicht auf die EU-Regelung zu warten. Landesvorsitzender Benno Koch: "2002 sind in Deutschland 538 Fahrradfahrer im Straßenverkehr gestorben." Bis zu 50 Prozent dieser Fälle seien auf das Problem des toten Winkels zurückzuführen. In Berlin seien es im vergangenen Jahr sieben Menschen gewesen, die bei solchen Unfällen starben. Jetzt müsse ein Bundesgesetz her.
Der ADFC präsentierte gestern in Berlin den "Toter-Winkel-Spiegel" (DOBLI), der in den Niederlanden ab 3,5 Tonnen Pflicht ist - ein anderes Modell, als die EU einführen will: "Der nach EU-Recht vorgeschriebene Spiegel verbessert die Sicht des Fahrers nur um 19 Prozent", erklärte der Mitentwickler des vorgestellten Dobli-Spiegels Wilm van Waes. Sein Spiegel verbessere die Sicht stattdessen um 34 Prozent - und das bei einem toten Winkel, der im Schnitt 38 Prozent des Fahrersichtfeldes ausmacht.
Van Waes Sohn wurde 1997 in den Niederlanden von einem Lastwagen beim Rechtsabbiegen tödlich erfasst. Er entwickelte daraufhin mit einem Fahrlehrer den Dobli. Die niederländische Regierung schrieb den Spiegel ab 2003 vor. Schon in der Einführungsphase seien die Toter-Winkel-Unfälle um 42 Prozent zurückgegangen. Der Dobli wird im Gegensatz zu herkömmlichen Außenspiegeln an der Frontscheibe installiert. Koch vom ADFC betonte, dass ein solcher Spiegel nicht mehr koste als der nach EU-Recht geplante.
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Internet-Zeitung http://www.ngo-online.de
30.03.2004
Fahrradverkehr
Zusätzlicher Rückspiegel könnte 300 Unfalltote im Jahr vermeiden
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) in Berlin präsentierte am Montag erstmals den "Toter-Winkel-Spiegel" (DOBLI), mit dem die Zahl der schweren und tödlichen Fahrradunfälle im "Toten Winkel" in den Niederlanden um 42 Prozent gesenkt werden konnte. Initiator des DOBLI-Spiegel ist der niederländische Projektentwickler Wilbert van Waes. Gemeinsam mit dem Fahrlehrer Sjaak de Connick entwickelte van Waes diesen Spiegel, nachdem sein 13-jähriger Sohn 1997 auf dem Fahrrad im "Toten Winkel" eines Lkw sinnlos sterben musste.
Der DOBLI-Spiegel verkleinert den "Toten Winkel" vor und rechts neben dem Lkw von 38 auf 4 Prozent. Seit dem 01.01.2003 sind in den Niederlanden 100 Prozent aller Alt- und Neufahrzeuge über 3,5 Tonnen mit einem vierten rechten Außenspiegel oder einem anderen sichtverbessernden System ausgerüstet. Lkw-Fahrer, die diesen Spiegel nicht montiert haben, zahlen eine Strafe von 235 Euro. Im Jahr 2002 ging die Zahl der schweren und tödlichen Fahrradunfälle im "Toten Winkel" um 42 Prozent zurück. Der DOBLI-Spiegel kostet lediglich 150 Euro und kann an jedem Lkw montiert werden.
Der ADFC fordert das verantwortliche Bundesverkehrsministerium auf, endlich zu handeln und den vierten rechten Außenspiegel sofort nach dem niederländischen Modell und im Vorgriff auf eine EU-Regelung auch in Deutschland für alle Lkw über 3,5 Tonnen vorzuschreiben. Die EU-Regelung sieht ab Oktober 2006 lediglich eine Ausrüstung aller Neufahrzeuge über 7,5 Tonnen und einen Spiegel vor, der den "Toten Winkel" lediglich um die Hälfte auf 19 Prozent verkleinern würde. Alleine der Austausch der Lkw über 7,5 Tonnen würde damit mindestens bis zum Jahr 2021 dauern.
Im Jahr 2002 starben in Deutschland 583 Fahrradfahrer im Straßenverkehr - davon nach Einschätzung des ADFC bis zu 50 Prozent im "Toten Winkel". Eine offizielle Erfassung der "Toter-Winkel-Unfälle" ist in Deutschland nicht vorgesehen. Aktuell mussten in Berlin am vergangenen Dienstag ein 9-jähriger und ein 59-jähriger Radfahrer sinnlos im "Toten Winkel" zweier rechtsabbiegender Lkw sterben. Im vergangenen Jahr starben auf Berlins Straßen insgesamt 24 Fahrradfahrer.
Der ADFC fordert das Bundesverkehrsministerium auf, endlich zu handeln: "Herr Stolpe, machen Sie dem sinnlosen Tod im "Toten Winkel" ein Ende und handeln Sie endlich! Schreiben Sie den vierten rechten Außenspiegel sofort verbindlich und im nationalen Alleingang vor, wie es die Niederlande bereits getan haben."
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Die Welt
30.03.2004
Der tödliche Winkel
Im vergangenen Jahr starben mehr Radfahrer auf Deutschlands Straßen als 2002. Besonders gefährlich sind rechts abbiegende Lkw. Deren Fahrer sehen oft zu wenig
von André Dersewski
Häufige Unfallursache: Ein Radfahrer wird von einem abbiegenden Auto geschnitten
Berlin -
Die Zahl der tödlichen Unfälle mit dem Fahrrad im deutschen Straßenverkehr ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2002 um fünf Prozent gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vom Dienstag wurden 612 Fahrradfahrer im Straßenverkehr getötet.
Die Erhebung zeigt, dass überdurchschnittlich häufig Kinder, jüngere Leute zwischen 20 und 25 Jahren sowie Senioren starben. Die Zahl der Verletzten stieg um 7,7 Prozent auf mehr als 76.000. Als möglichen Grund nennt das Bundesamt den schönen Sommer des Vorjahres.
Die angenehmen Temperaturen hätten mehr Menschen dazu bewegt, aufs Fahrrad zu steigen. Auch ungeübte Radfahrer seien vom schönen Wetter animiert worden, ergänzt Michael Zeilbeck, Leiter der Verkehrsunfallbekämpfung der Berliner Polizei. "Für einen Radfahrer ist es im Falle eines Unfalls oft nur ein kleiner Schritt vom bloßen Umfallen bis zu schlimmeren Folgen", sagt Heilbeck. Hinzu käme, dass auch manche Autofahrer durch die heißen Sommertemperaturen möglicherweise unkonzentriert gewesen seien.
Tödliche Gefahr auf der rechten Seite
Zwar können Radfahrer die Gefahren durch das Tragen eines Helmes vermindern. Beim Zusammenstoß mit einem rechts abbiegenden Fahrzeug hilft der Kopfschutz indes wenig. Selbst wenn die Schwächeren im Verkehr alles richtig machen, lauert insbesondere auf der Beifahrerseite der Lastwagen eine tödliche Gefahr: der tote Winkel.
Lkw verfügen rechts am Fahrzeug oftmals lediglich über einen Standard-Außenspiegel. Dadurch ist den Fahrern im Blickfeld die Sicht nach Angaben der Polizei zu 38 Prozent versperrt. Was sich in diesem Bereich abspielt, können die Kraftfahrer nur erahnen. Die Gesetzgeber in Belgien und den Niederlanden haben deshalb einen vierten Rückspiegel seit dem vergangenen Jahr zur Pflicht gemacht. In niederländischen Lastwagen ab 3,5 Tonnen musste an der Frontscheibe rechts ein konvexer Spiegel (Dobli-Spiegel) montiert werden. Nach Angaben von Fachleuten kann der tote Winkel damit auf vier Prozent reduziert werden.
Die Kosten für die Nachrüstung liegen bei rund 150 Euro. Viele Spediteure schrecken allerdings vor einer Anschaffung zurück, wie der Berliner Polizei-Verkehrsexperte Zeilbeck erläutert: Weitere Ausgaben könnten entstehen, wenn anstehende EU-Verordnungen andere Maßstäbe setzen und so das bereits angeschaffte Gerät nutzlos machten.
Zusätzliche Spiegel und Kameras für mehr Sicherheit
Brüssel will ab 2006 einen zusätzlichen rechten Spiegel bei Neufahrzeugen einführen. Der Entwurf einer Richtlinie aus dem vergangenen Jahr sieht außerdem vor, dass Lkw mit Videokameras, Infrarot- oder Ultraschall-Warnsystemen aufgerüstet werden können.
Ein einfacher Radfahrerspiegel rechts außen reiche dabei nicht aus, warnt Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin. Mit Hilfe dieses Spiegels werde der tote Winkel nur auf 19 Grad reduziert. Cramer kritisiert auf seiner Website außerdem, dass die EU-Regeln lediglich für neue Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen geplant seien.
Allerdings werden Radfahrer im Straßenverkehr häufig nicht einfach übersehen, wie die Polizei festgestellt hat. Sie trügen bei rund 60 Prozent aller Unfälle eine Mitschuld, sagt Michael Zeilbeck, Leiter der Berliner Verkehrsunfallbekämpfung. Nur auf Autofahrer einzuwirken, ist demnach zu einfach.
Um Unfälle zu vermeiden, müssten Radfahrer nach Angaben des Polizisten möglichst Blickkontakt zum Autofahrer herstellen. "Hat der mich überhaupt gesehen?", solle sich der aufmerksame Radfahrer fragen. Bei den Autofahrern hingegen müsse der Schulterblick automatisiert erfolgen. Solange die Ausrüstung ihrer Lkw mit Spiegeln unzureichend bleibt, hilft dieser Rat aber selbst den aufmerksamsten Fahrern nur bedingt.
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Tagesspiegel
02.04.2004
Bundesratsinitiative gegen den toten Winkel
Berlin und Brandenburg wollen Vorreiter sein, um schwere Radfahrunfälle zu vermeiden. Ein spezieller Lkw-Spiegel soll Pflicht werden
Von Ulrich Zawatka-Gerlach
Berlin und Brandenburg wollen mit einer gemeinsamen Bundesratsinitiative erreichen, dass alle Lastkraftwagen über 3,5 Tonnen mit einem vierten Außenspiegel ausgestattet werden. Auf diese Weise sollen der „tote Winkel“ erheblich verringert und Verkehrsunfälle vermieden werden, bei denen Radfahrer beim Rechtsabbiegen unter die Räder der schweren Fahrzeuge kommen. Seit Januar sind in Berlin schon fünf Radfahrer im Straßenverkehr getötet worden. „Dies verpflichtet uns, solche Unfälle vermeiden zu helfen“, sagte Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Bis zu einer Gesetzesänderung, die bessere Außenspiegel vorschreibt, sollten das private Fuhrgewerbe, öffentliche Unternehmen, Polizei und Feuerwehr ihre Fahrzeuge freiwillig nachrüsten.
Noch im April, so kündigte Junge-Reyer an, werde der Senat zu einem großen Workshop einladen, „um auf breiter Basis nach Lösungen zu suchen“. Die EU-Regelung, die ab 2006 einen vierten Außenspiegel vorschreibe, sei nicht ausreichend. Die Bundesratsinitiative werde sich aber nicht auf den Spiegel festlegen, der in den Niederlanden vorgeschrieben ist und den toten Winkel auf vier Grad verkürzt. „Das muss mit den Fachleuten erörtert werden“, sagte die Staatssekretärin. Erste Reaktionen des Berliner Fuhrgewerbes machten sie aber optimistisch, „dass wir sehr schnell zu einer Nachrüstung kommen werden“.
In dem Workshop soll auch über andere Fragen geredet werden, die zur Sicherheit der Radfahrer im Großstadtverkehr beitragen. Zum Beispiel über die neuen Fahrbahnmarkierungen auf der Straße, die schwer einsehbare, herkömmliche Radwege ersetzen. Über die Erfolgsaussichten der Bundesratsinitiative wurde nichts gesagt. Allerdings wird über tödliche Radfahrerunfälle, die durch abbiegende Lastwagen verursacht werden, auch in anderen Bundesländern zunehmend diskutiert. So hat die SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen Ende 2003 die rot-grüne Landesregierung ebenfalls zu einer Bundesratsinitiative für den vierten Spiegel aufgefordert.
Das Abgeordnetenhaus forderte den Senat gestern Abend einstimmig auf, „alle Möglichkeiten auf Landes- und Bundesebene zu nutzen“, dass LKWs und Busse mit einem zusätzlichen Außenspiegel „nach niederländischem Vorbild“ so schnell wie möglich ausgerüstet werden. Diese Verpflichtung solle für Alt- und Neufahrzeuge gelten.
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Lesen Sie dazu auch die Pressemitteilung des BMVBW vom 02.04.2004: "Gleicke: Das Problem des "toten Winkels" muss zuverlässig gelöst werden", und die Reaktion des ADFC Berlin vom gleichen Tage "Toter Winkel: Staatssekretärin Iris Gleicke in größter Erklärungsnot".Inzwischen gibt's endlich eine Kampangne für den Dobli-Spiegel als vierten Außenspiegel an Lkw ab 3,5 t (alt wie neu). Für weitere aktuelle Infos lesen Sie die Sonderseite Weg mit dem toten Winkel
Lesen Sie auch neuere Berichte zur Dobli-Kampagne im Tagesspiegel.
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