"Die Radwegbenützungspflicht hat nicht die Förderung des Radverkehrs oder dessen Sicherheit zum Ziel, sondern dient der Bequemlichkeit des Autoverkehrs. Gute Radwege, die das Radfahren schneller, komfortabler und sicherer machen, brauchen keine Benützungspflicht." (aus der Stellungnahme der Stadt Wien vom 10.11.2004 zum Entwurf eines [österreichischen] Bundesgesetzes, mit dem die Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) geändert wird - StVO-Novelle 2004)

"Zahlreiche statistische Erhebungen und wissenschaftliche Untersuchungen weisen nach, dass die Unfallzahlen auf innerörtlichen Radwegen mit Radfahrerfurten deutlich höher sind als auf gemeinsam von allen Fahrzeugen genutzten Fahrbahnen." (aus der Stellungnahme des badem-wüttembergischen Inneministeriums vom 25.10.2007 (zu 8.) zum Antrag der SPD-Fraktion im Landtag vom 04.10.2007 "Radwegenetz ausbauen – Fahrradverkehr stärken", Drucksache 14/1818)

Rechtslage Radwege

Radwegbenutzungspflicht
nach der sog. Fahrradnovelle der Straßenverkehrsordnung (StVO)

von Dr. Frank Bokelmann, Hamburg

Inhalt dieser Seite:

Einleitung
Die entscheidenden Paragaphen und ihre Begründung
§ 39 Abs. 1 StVO n. F. (Verkehrszeichen)
§ 45 Abs. 9 StVO (Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen)
Interpretation des § 45 Abs. 9 StVO durch den Oberbundesanwalt beim BVerwG
Eigene Anmerkungen
Widersprüche
Andere Möglichkeiten
Erstes Urteil zur Benutzungspflicht ("Berliner Radwegeurteil")
Weitere Urteile zur Benutzungspflicht
Klagebefugnis und Widerspruchsfrist
Verpflichtungsklagen und Bescheidungsurteile

Weitere Themen im Überblick:
"Schulwegsicherung" durch Benutzungspflicht?
Alternativen zur Benutzungspflicht: Geschwindigkeitsbeschränkung
"Service-Lösung"
Bemerkungen zu linken Radwegen
Schilder wirklich wegmachen
Baustellen - temporäre Probleme und keine Lösung
Parken auf und neben Radwegen
Hamburger (Landes-)Gesetze, Verordnungen und Anordnungen
Literatur und ausgewählte Links


Einleitung

Zur Inhaltsübersicht

Dies ist eine Darstellung im wesentlichen nach dem Stand 1999. Einiges davon ist in neueren Urteilen (Urteile zur Benutzungspflicht aus den Jahren 2000 bis heute siehe hier) inzwischen bestätigt worden.

Im Internet (s. u.) finden sich sowohl die aktuelle Fassung der gesamten StVO als auch die "fahrradspezifischen" Auszüge hiervon und die "fahrradspezifischen" Auszüge zu den Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-StVO).

Hier interessieren vor allem die 24. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Art. 1: Änderung der StVO (sog. Fahrradnovelle) vom 07.08.1997, BGBl I 1997, 2028 und die dazugehörige Änderung der VwV-StVO vom 07.08.1997, Bundesanzeiger 1997, 10398 (Nr. 151/1997), die (in zwei Schritten) in Gänze am 01.10.1998 in Kraft traten.

Bei den "fahrradspezifischen" Auszügen der StVO fehlen auffälligerweise die §§ 39 Abs. 1 n. F. und 45 Abs. 9 StVO, die durch die 24. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Art. 1: Änderung der StVO, eingefügt wurden. Die Durchschlagskraft gerade dieser Normen gegen die Anordnung von Radwegebenutzungspflichten ist offenbar bisher allseits übersehen worden. Erst im Jahr 2002 - nach immerhin drei Urteilen zur Radwegebenutzungspflicht - beginnt sich die Fachwelt ausgiebig und substantiiert mit diesen Zusammenhängen auseinanderzusetzen (Dietmar Kettler: § 45 IX StVO - ein übersehener Paragraf? Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2002, Seite 57 ff.).

Die entscheidenden Paragaphen und ihre Begründung

§ 39 Abs. 1 StVO n. F. (Verkehrszeichen)

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"Angesichts der allen Verkehrsteilnehmern obliegenden Verpflichtung, die allgemeinen und besonderen Verhaltensvorschriften dieser Verordnung eigenverantwortlich zu beachten, werden örtliche Anordnungen durch Verkehrszeichen nur dort getroffen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist."

Begründung
(Bundesratsdrucksache (BRat-Drs.) 374/1/97 vom 23.06.1997 / Empf. der Ausschüsse, S. 6):

"In der Bundesrepublik Deutschland war in der zurückliegenden Zeit ein zunehmender Trend zur Regelung aller Verkehrssituationen durch Verkehrszeichen festzustellen. Sie gehört inzwischen zu den Ländern mit der höchsten Verkehrszeichendichte. Diese übermäßige Beschilderung im Straßenverkehr führt zu einer allgemeinen Überforderung und Ablenkung der Verkehrsteilnehmer sowie zu Akzeptanzproblemen bei der Beachtung von Verkehrsvorschriften. Zugleich hat dies zu einer unerwünschten Abwertung der grundlegenden gesetzlichen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewußtsein der Verkehrsteilnehmer und damit zu einer Minderung der Bereitschaft zu einer eigenverantwortlichen Beurteilung der Verkehrssituation und der sich daraus ergebenden Verhaltensweise geführt. Die Verkehrsministerkonferenz hatte daher am 21./22.März 1996 beschlossen, daß eine effektive Reduzierung der Verkehrszeichenbeschilderung vor allem aus Gründen der Verkehrssicherheit dringend erforderlich sei."

§ 45 Abs. 9 StVO (Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen)

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In der Fassung von 1997 (wurde im Jahr 2000 klarstellend ergänzt, was hier aber zu weit führen würde)

"Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Gefahrzeichen dürfen nur dort angebracht werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs unbedingt erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muß."

Begründung
(BRat-Drs.374/1/97, S. 11):

"Neben der Änderung des § 39 bedarf es auch einer korrospondierenden Ergänzung des § 45 durch einen neuen Absatz 9. Auf die Begründung zu § 39 Abs. 01 und § 43 Abs. 1 Satz 2 (neu) [Anm. "§ 39 Abs. 1 gilt entsprechend."] wird verwiesen. Während die genannten Normen an die Verkehrsteilnehmer adressiert sind, verpflichtet der neue Absatz 9 von § 45 StVO die zuständigen Behörden, bei der Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen restriktiv zu verfahren und stets nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob die vorgesehene Regelung durch Verkehrszeichen und/oder Verkehrseinrichtungen deshalb zwingend erforderlich ist, weil die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Verordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichen."

Interpretation des § 45 Abs. 9 StVO durch den Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht (Gesch.-Z.: 6 R 110. 98)

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Auch die Stellungnahme des Oberbundesanwaltes beim Bundesverwaltungsgericht (Gesch.-Z.: 6 R 110. 98) zum Verfahren BVerwG 3 C 9.98 gibt einigen Aufschluß zur Motivation und beabsichtigten Wirkungsweise der Einfügung von § 39 Abs. 1 (neu) StVO und § 45 Abs. 9 StVO. Das BVerwG enthielt sich zwar insoweit einer Entscheidung, weil es über ein Berufungsurteil aus der Zeit vor dem 01.09.1997 zu urteilen hatte. Dennoch ist diese Stellungnahme höchst lesenswert.

Eigene Anmerkungen

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Angesichts der reichen Auswahl im Internet (s. u.) soll es mit diesen Zitaten sein Bewenden haben. Die zitierten Begründungen stammen - wie die genannten Absätze - aus der Feder des Ausschusses für Verkehr und Post. Sie wurden offenbar erst kurz vor der Billigung der 24. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften durch den Bundesrat in die Änderungs-VO eingefügt.

Die zitierten Normen und Begründungen haben mit dem Radverkehr eigentlich nichts zu tun. Mit ihnen soll lediglich der Schilderwald gelichtet werden, welcher manchem Laternen- und sonstigem Mast in der Vergangenheit ein solches Segel verpaßt hat, daß er bei frischem Wind schon fast umgeweht zu werden droht. Mit der Entfernung von Schildern wird die Verkehrssicherheit auch nicht unbedingt vermindert, sondern die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer wieder entlastet und für die Beobachtung des Verkehrsgeschehens freigemacht. Und daß man nicht mit Tempo 50 in eine heikle Situation hineinfährt, nur weil Tempo 50 innerorts nun mal erlaubt ist, sollte eigentlich jedem Verkehrsteilnehmer bekannt sein. Die Entfernung von Schildern kann deshalb dazu führen, daß Verkehrsteilnehmer ihre Pflicht zur Rücksichtnahme und Gefahrenvermeidung gem. § 1 StVO wieder eigenverantwortlich wahrnehmen. Damit soll der Teufelskreis von - 1. Ausschilderung durch überängstliche Beamte vor Ort, - 2. blindem Vertrauen auf die Beschilderung und ggf. unangepaßten Fahren durch die einzelnen Verkehrsteilnehmer (wenn einmal auf ein Problemchen nicht mit Schildern und Anordnungen hingewiesen wird) und - 3. dem darauf folgenden Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen gegen die Straßenverkehrsbehörden oder ihre Beamten nach einem entsprechenden dämlichen Unfall wegen "Verletzung der Verkehrssicherungspflicht" - durchbrochen werden. Ein guter Gedanke! - wenn auch zunächst nur vom ADAC genutzt, der diese Idee auch schon einige Male umsetzte, zunächst in Selm (NRW), dann in mindestens 60 weiteren Städten. Bei dieser Nutzbarmachung verwundert es nicht, daß niemand diese Neuerung mit der Radwegbenutzungspflicht in Zusammenhang brachte (wohl auch die Urheber der Fahrradnovelle nicht). Das Ergebnis habe ich in Celle gesehen - aufgeräumt vom ADAC und doch ein (Alp-)traum in blau-weiß. Das muß nicht sein. Zumindest sollten die Radfahrer immer auch prüfen, wie sie Kraft der 14 Mio. Mitglieder des AD_A_C für sich nutzen können.

Richtig interessant ist § 45 Abs. 9 StVO aber, weil er mit § 2 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StVO: "Sie [Anm.: die Radfahrer] müssen Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237 [Radweg (siehe links)], 240 [gemeinsamer Fuß- und Radweg] oder 241 [getrennter Rad- und Fußweg; vom Gehweg abgetrennter Radweg] gekennzeichnet ist. Andere Radwege dürfen sie benutzen.", zusammenwirkt. Einerseits sind Radwege, die bisher ohne weiteres immer benutzungspflichtig waren, nun nur bei entsprechender Beschilderung benutzungspflichtig. Andererseits ist die entsprechende Beschilderung von einer eingehenden Prüfung vor Ort abhängig, ob es der Regelung durch Verkehrszeichen überhaupt bedarf, d. h. heißt ganz allgemein, ob die (angeordnete) Benutzung des Radwegs zu einer Erhöhung der Sicherheit führt. Dies ist immer dann zu verneinen, wenn praktisch alle Radfahrer auch auf der Fahrbahn gut zurecht kommen (Benutzungspflicht nicht notwendig) oder es eine nicht zu kleine Gruppe von Radfahrern gibt, die ihren auf die Benutzung der Fahrbahn angepaßten und dort sicheren Fahrstil sehr stark ändern müßten, um auf dem Radweg so sicher wie auf der Fahrbahn zu fahren (Benutzungspflicht nicht zumutbar). Die Beurteilungs- und Ermessensspielräume für eine Regelung durch Verkehrszeichen sind zugleich durch die Neufassung der VwV-StVO stark eingeschränkt worden. Daher kann die Anordnung der Benutzungspflicht eines Radweges rechtswidrig sein und ist dann von Rechts wegen zu unterlassen [Anm.: Ist die Benutzungspflicht nicht notwendig, kann in Grenzfällen auch schon die Anlage eines Radweges rechtswidrig sein. Indes dürfte es kaum zu einer ernsthaften Verringerung der Zahl der angebotenen Radwege kommen.]

Andererseits hat jeder Radfahrer gem. § 39 Abs. 1 n. F. StVO vor Ort zu prüfen, ob er aufgrund seiner Kenntnisse, Erfahrung, angestrebten Geschwindigkeit, Kondition, der Oberflächenbeschaffenheit des Radweges, der Breite des Radweges, der Verkehrsdichte auf der Fahrbahn usw. den angebotenen "anderen" Radweg gem. § 1 StVO zur Vermeidung von unverhältnismäßigen Behinderungen des Verkehrs, Gefährdungen und Unfällen doch benutzen muß. Und hier schließt sich der Kreis: da wegen der Beachtung des § 1 StVO wohl nicht wenige Radfahrer die angebotenen anderen Radwege benutzen müssen oder einfach wollen, müssen auch diese Radwege von den jeweiligen Baulastträgern zumindest so unterhalten werden, daß Radfahrer sie mit mäßiger Geschwindigkeit befahren können. Sie müssen andererseits bestimmt nicht so gut beschaffen sein, wie die Radwege, die alle Radfahrer auf Anordnung zu benutzen haben, d. h. der weitere Ausbau der nicht benutzungspflichtigen Radwege könnte mit Ausnahme besonders ungeeigneter Anlagen zunächst zurückgestellt werden.

Die hier vorgenommene Auslegung der StVO, die die Anordnung der Benutzungspflicht auf die wenigen Radwege beschränken würde, deren Benutzung für fast alle Radfahrer einen Sicherheitsgewinn bedeutete und deren Ausbau zu besonders sicheren Radwegen sich die Baulastträger sich in absehbarer Zeit auch wirklich leisten können, ist noch nicht herrschende Meinung. Die Auslegung der StVO als Gesamtwerk ist offenbar nicht üblich. Häufig wird die mit § 2 Abs. 4 S. 3 StVO eröffnete Wahlfreiheit für "andere" Radwege überinterpretiert - von den Lobbyisten der Radfahrer als Möglichkeit zur Abstimmung mit den Rädern gegen "schlechte" Radwege und von den Behörden als Aufforderung, Radfahrer wie bisher vor ihrer eigenen Dummheit zu schützen. Das Ergebnis - Straßenränder mit der Informationsdichte eines Lexikons - war aber gerade nicht gewollt (s. o.). Besonders augenfällig wird die Abweichung zwischen Rechtslage und Praxis naturgemäß in den Städten, in denen sich die Anzahl der Schilder wegen der erstmaligen Aufstellung von Radwegeschildern deutlich erhöht hat.

Widersprüche

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Nicht wenige Radfahrer beklagen sich deshalb über als benutzungspflichtig ausgeschilderte (!) Radwege, die "unter aller Sau" sind. Dies wirft natürlich die Frage auf, ob der durch solche Radwege behinderte und gefährdete Radfahrer aus § 45 Abs. 9 StVO einen subjektiven Anspruch auf die Unterlassung der Ausschilderung als benutzungspflichtig hat. So spannend diese Frage ist, kann ich sie noch(?) nicht beantworten. Hoffnung besteht immerhin (vgl. Urteil des BVerwG vom 25.05.1998 - 3 C 11/97, NJW 1998, 2840 zur Einrichtung von Anwohnerparkzonen, in dem die Ermächtigung zur Einrichtung durch § 45 StVO geprüft wurde, also die Verletzung des § 45 StVO als justiziabel anerkannt wurde - vgl. auch Urteil des BVerwG vom 21.01.1999 - 3 C 9.98, VerkMitt 1999, 66 - zu Tempolimits auf der Autobahn - mit den weitgehenden Folgerungen des Klägers, der trotz Abweisung in drei Instanzen - zu Recht, wie ich meine - zufrieden war (Sprung zur Nachlieferung 2003: Klagebefugnis und Widerspruchsfrist). Ich werde es aber ausprobieren, wenn man mir Anlaß dazu gibt und den Rechtsweg beschreiten (Widerspruch gegen die Anordnung, Klage). Einen Widerspruch habe ich im September 1999 gegen die Anordnung der Benutzungspflicht in der Heinrich-Plett-Straße in Hamburg, der in dieser Website genauer beschrieben wird (s. Radwegehaßtext), eingelegt. Inzwischen (seit Oktober 1999) könnte aber die Rechtsbehelfsfrist für viele seit jeher oder noch kurz vor oder nach dem 1. Oktober 1998 aufgestellte Schilder abgelaufen sein (vgl. Beschluß des VGH Kassel vom 05.03.1999 - 2 TZ 4591/98, NJW 1999, 1651; Information zum Musterwiderspruch des ADFC-Landesverbands Hamburg), was ich für sehr ärgerlich hielte, weil es einen völlig unzureichenden und materiell rechtswidrigen Zustand formell absichern würde (vgl. auch das Kapitel: "Klagebefugnis und Widerspruchsfrist" Sprung zur Nachlieferung 2003: Klagebefugnis und Widerspruchsfrist). Ich vertrete daher die Auffassung, daß Anträge auf Rücknahme bzw. Widerruf, Aufhebung oder Wegordnung der Benutzungspflichten und ggf. Widersprüche gegen die Ablehnung solcher Anträge weiterhin möglich sind. Auch hier dürfte der Hinweis auf § 45 Abs. 9 StVO und die Überprüfungspflicht lt. VwV-StVO hilfreich sein (Nachtrag 2003:bestätigt durch Urteil des VG Berlin vom 12.11.2003 - VG 11 A 606.03, VRS 106, 153; NZV 2004, 486 mit Anm. Kettler S. 488; sehr kurz: VerkMitt 2004, 23, vgl. auch das Kapitel: "Verpflichtungsklagen und Bescheidungsurteile" (Sprung zur Nachlieferung 2004: Verpflichtungsklagen und Bescheidungsurteile). Ferner dürften die Radwegebenutzungspflichten für wichtige, gleichwohl nicht den Mindestkriterien entsprechende Radwege zunächst nur befristet angeordnet worden sein (sofern ohne Gefahr nutzbar). Sollte dies nicht der Fall sein, so wäre zu fordern, wenigstens die Befristung nachzuholen.

Andere Möglichkeiten

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Ganz sicher hätte der Hinweis auf die oben zitierten Normen bei Diskussionen mit Entscheidungsträgern (auf Dauer) seine Wirkung. Schließlich soll der Staat seine Verordnungen durchsetzen und nicht selbst gegen sie verstoßen.

Ein weiterer Weg, gegen rechtswidrige Anordnungen der Benutzungspflicht vorzugehen, ist die Petition gem. Art. 17 GG an die zuständige Behörde oder, falls die sich - wie so oft - nicht feststellen läßt, weil Bau-, Innen- und Gartenbaubehörden einen unter Hinweis auf die Zuständigkeit der jeweils anderen Behörden abblitzen lassen, an den Gemeinderat oder das Landesparlament. Kostet nix, beschäftigt die Beamten mindestens genauso wie ein förmlicher Rechtsbehelf, bringt allerdings nicht unbedingt genau soviel. Ich habe auf diesem Weg dennoch schon einige Erfolge erzielt.

Erstes Urteil zur Benutzungspflicht ("Berliner Radwegeurteil") [Nachlieferung 2001]

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Ein Radfahrer aus Berlin hatte mit seiner Klage gegen eine Radwegebenutzungspflicht Erfolg (rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28.09.2000 - VG 27 A 206.99, Verkehrsblatt 2001, 139; Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2001, 317 mit Anmerkungen von Dr. Bitter und Dr. Bouska). Hier ein Auszug aus den Gründen (die m.E. zentralen Sätze habe ich durch Unterstreichung hervorgehoben):

"Bei der rechtlichen Beurteilung ist zunächst davon auszugehen, daß es nach Aufhebung der grundsätzlichen Radwegebenutzungspflicht durch die seit dem 1. Oktober 1998 geltende Neufassung des § 2 Abs. 4 StVO grundsätzlich zulässig ist, daß Radfahrer nicht einen vorhandenen Radweg, sondern die Fahrbahn benutzen. Die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht durch Zeichen 237 zu StVO stellt sich damit nicht nur als Gebotsregelung, sondern - durch den Ausschluß der Nutzung der Fahrbahn - zugleich als Verbotsregelung und damit als eine die Straßenbenutzung durch den fließenden (Fahrrad-)Verkehr beschränkende Maßnahme dar. Denn die durch Zeichen 237 StVO angeordnete Radwegbenutzungsplicht verbietet dem zuvor zulässigerweise die Fahrbahn benutzenden Radfahrer, weiter auf der Fahrbahn zu fahren und sieht insoweit hinsichtlich der Fahrbahnnutzung dem stets als Verkehrsbeschränkung anzusehenden Zeichen 254 StVO gleich.

Rechtsgrundlage für die Aufstellung der Zeichen 237 ist damit zunächst neben § 39 Abs. 1 StVO auch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, wonach die Verkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen, der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten können. Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Eingriffstatbestände des § 45 Abs. 1 bis Abs. 1 d StVO zu stellen sind, ist durch Verordnung vom 7. August 1997 (BGBl. I, 2028) folgender Abs. 9 in § 45 StVO eingefügt worden:

"Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in der vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt..."

Nach dieser Bestimmung setzt eine verkehrsbehördliche Anordnung, die wie die hier angefochtene Radwegebenutzungspflicht (§ 2 Abs. 4 Satz 2 StVO) eine sonst zulässige Benutzung bestimmter Straßenstrecken für Radfahrer beschränkt, das Vorhandensein besonderer, zu einer solchen Regelung zwingender Umstände voraus (normative Umsetzung bzw. Verschärfung der schon für das vor Inkrafttreten dieser Bestimmung geltende Recht einschlägigen Rechtsprechung [BVerwG Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 8,: S. 26], vgl. zu § 45 Abs. 9 StVO auch OVG Bremen, NZV 2000, 140; OVG Hamburg NZV 2000, 346 und VGH Kassel, NZV.99, 397). Solche Umstände sind nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nur bei einer aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehenden außergewöhnlichen Gefahrenlage gegeben. Diese hohen normativen Anforderungen hat der Beklagte bei der angefochtenen Anordnung der Radwegebenutzung nicht beachtet (hierzu unter 1); darüber hinaus ist die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht auch schon deshalb rechtswidrig, weil hierfür die Voraussetzungen der zwar nur verwaltungsinternen, aber das Ermessen der Straßenverkehrsbehörden für solche Anordnungen bundeseinheitlich bindenden Verwaltungsvorschriften zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO (VkBl. 99, 290) - VV-StVO - nicht vorliegen (hierzu unter 2)."

Nach diesen einleitenden Worten, die das Programm für die restliche Begründung vorgeben, holt das Gericht unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse richtig aus. Wichtig für mich: mein Hinweis auf § 45 Abs. 9 StVO ist richtig gewesen. Hierbei hatten viele Radfahrer - aber nicht nur sie - bisher immer nur an den ADAC und seine "Methode Selm" zur Entschilderung der Städte gedacht, weil sie den Radverkehr selbst nicht als fließenden Verkehr wahrgenommen hatten. Eine wirklich ärgerliche Kostprobe dieser falschen Denke hat Dr. Bouska mit seiner Anmerkung abgeliefert. Nimmt man ihn ernst, muß man davon ausgehen, daß die Fahrradnovelle nur eine Ansammlung wohlfeiler, aber hohler Worte sein sollte, die keine Behörde zu beachten habe. Mehr - berechtigtes - Selbstbewußtsein der Radfahrer ist daher auch in Zukunft nötig und erlaubt. Hinzu kommt, daß die blau-weißen Gebotsschilder Z 237, Z 240 und Z 241 von einem deutschen Gericht erstmals in ihrer Doppelfunktion als Verbotsschilder deutlich wahrgenommen wurden. Diese Erkenntnis könnte man sensationell nennen. Eigentlich entspricht sie aber genau der Wahrnehmung der Radfahrer. Damit ist jetzt klar, daß Radfahrer die Beachtung VwV-StVO als eigenes Recht einklagen können, weil ihnen § 45 Abs. 9 StVO eine solche Rechtsposition verschafft. Die Urteilsbegründung ist veröffentlicht z.B. im "Verkehrsblatt". Und hier die Anmerkungen von Dr. Bitter und Dr. Bouska. mit eigenen Kommentaren zu Dr. Bouska. Für die ganz Neugierigen weitere Urteile.

Weitere Urteile zur Benutzungspflicht [Nachlieferungen 2003ff.]

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Weitere Urteile verstetigen die mit dem Urteil des VG Berlin vom 28.09.2000 - VG 27 A 206.99, Verkehrsblatt 2001, 139; Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2001, 317 begonnene Rechtsprechung:

Zur Rechtskraft und zu weiteren Entscheidungen siehe im Radwegehaß-Text (recht weit unten).

Dazu kommen noch verschiedene Beschlüsse mehrerer Kammern des VG Berlin zum vorläufigen Rechtsschutz (mal so, mal so ausgegangen - je nach Kammer und Gefahrenlage auf der Fahrbahn), Kostenbeschlüsse und Beschlüsse zu Eilanträgen zum tatsächlichen Abbau weggeordneter Z 237, 240 oder 241 (z.B. Beschlüsse des VG Berlin vom 06.05.2003 und vom 18.06.2003 - VG 27 A 50.02, siehe Pressemitteilung Nr. 16/2002 des VG Berlin ).

Aus den Entscheidungsgründen der Urteile des VG Berlin (z.B. zum Az. VG 27 A 299.01, so aber wortgleich auch in den anderen Urteilen vom 03.07.2003 (außer dem Urteil zum Az. VG 27 A 13.02, das diese Einlassung so nicht braucht):

"a. Zu den Voraussetzungen der - nach der Straßenverkehrsordnungsnovelle nur ausnahmsweise bestehenden - Radwegebenutzungspflicht ist vorab Folgendes auszuführen:

Die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht (Zeichen 237) bemisst sich zunächst an § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO als allgemeiner Ermächtigungsgrundlage. Danach können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken Zusätzlich bestimmt § 45 Abs. 9 StVO, dass Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist (Satz 1). Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich, übersteigt (Satz 2).

Weitere Voraussetzung für die Anordnung der Benutzungspflicht ist, dass der benutzungspflichtige Radweg den Anforderungen der Verkehrssicherheit genügt. Nach dem Vorliegen einer auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehenden außergewöhnlichen Gefahrenlage steht die verkehrsregelnde Anordnung dann im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde, welches durch die bundeseinheitlich geltenden Verwaltungsvorschriften zu § 2 Abs. 4 StVO (im Folgenden: VV-StVO) und die dort gemachten Vorgaben bezüglich Beschaffenheit und Zustand des Radwegs gebunden ist. Machen die VV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO Vorgaben bezüglich der Gestaltung von Radwegen - so wird für die lichte Breite etwa zu Zeichen 237 bei einem baulich angelegten Radweg eine Mindestbreite von 1,50 m vorgegeben, möglichst soll sie indes 2 m betragen - so dient die hier angestrebte bundeseinheitlich gleichartige Gestaltung der Radwege einmal der Erkennbarkeit, zum anderen sind es aber auch Vorgaben bezüglich der für notwendig erachteten Sicherheitsstandards. Nach den VV-StVO muss die Benutzung des Radweges nach Beschaffenheit und Zustand zumutbar, die Linienführung eindeutig, stetig und sicher sein; abgewichen werden kann nur ausnahmsweise und 'unter Wahrung der Verkehrssicherheit' (vgl. VV-StVO Rz.16 und 22). Demnach bildet die Abweichung beispielsweise eines zu schmalen Radwegs von der Mindestbreite und damit von den Vorgaben der VV-StVO zur lichten Breite insofern ein Indiz für einen mangelnden Sicherheitsstandard und damit die Ungeeignetheit des Radwegs, die Sicherheit des Radverkehrs zu gewährleisten. Binden die VV-StVO das Ermessen der Verwaltung bezüglich der Gestaltung des Radwegs, ist die Behörde einer eigenen Prüfung und Ermessensausübung damit nicht enthoben. Ein Abweichen in der Ermessensausübung von den Vorgaben der VV-StVO ist grundsätzlich möglich, indes nur dort, wo im Einzelfall ein atypischer Sachverhalt vorliegt, der diese Abweichung rechtfertigt. Insofern bieten die Verwaltungsvorschriften Gesichtspunkte für die Einschätzung der Eignung des konkreten Radwegs, Sicherheit und Ordnung des Verkehrs zu gewährleisten. Weicht die Behörde in ihrer Ermessensausübung von den Bindungen der VV-StVO ab, so muss sie begründen und darlegen, worin im Einzelfall der sachliche Grund der Abweichung, der atypische Sachverhalt, besteht. Tut sie dies nicht oder trägt der Grund sonstwie nicht, spricht die Abweichung der konkreten Gestalt des Radwegs von den Vorgaben der VV-StVO im Einzelfall für die Ungeeignetheit des Radwegs und die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht ist ermessensfehlerhaft, die Verpflichtung des Bürgers zur zwangsweisen Benutzung des - unsicheren - Radwegs damit rechtswidrig. Eine Unterschreitung der in den Verwaltungsvorschriften genannten Vorgaben führt damit nicht ohne weiteres, sondern nur je nach den Umständen des Einzelfalls zur mangelnden Eignung des Radwegs (vgl. auch zur Anordnung einer Busspur Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Januar 1993 - 11 C 35.92 -). Lediglich für den Fall, dass zwar eine - nicht begründete - Abweichung, von den Vorgaben der VV-StVO vorliegt, die daraus zwingend folgende Aufhebung der Benutzungspflicht jedoch im Hinblick auf die besondere und außergewöhnliche Gefahrensituation vor Ort unvertretbar erscheint, weil die dann bei Benutzung der Fahrbahn für Radfahrer bestehenden Gefahren auch im Lichte des unzureichenden Zustandes des Radweges nicht hinnehmbar sind, kann die Benutzungspflicht für den Zeitraum, der zur Herstellung eines den Vorgaben der VV-StVO entsprechenden Radweges erforderlich ist, hingenommen werden.

Nach Auffassung der Kammer vermag die generelle Ausnahmegenehmigung der Senatsverwaltung vom 13. August 1998 bezüglich der allgemeinen Abweichung von der lichten Breite Abweichungen von den bundeseinheitlichen Vorschriften der VV-StVO nicht zu rechtfertigen. Diese Genehmigung lässt sich weder auf § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO noch auf die dazu erlassene Verwaltungsvorschrift stützen. Schon der Wortlaut des § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO begründet Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausnahmegenehmigung. Danach kann die zuständige oberste Landesbehörde "Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller" genehmigen. Betrifft die Ausnahmegenehmigung Radwege, die nicht die Voraussetzungen von II.2. VV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 erfüllen, so ist dies schon kein bestimmter Einzelfall, denn im Einzelnen bestimmt ist nur der einzelne Radweg, nicht aber die Gesamtheit aller Radwege, die nicht den Vorgaben der Verwaltungsvorschriften entsprechen. Ein allgemein genehmigungsfähiger Umstand liegt nicht vor, da dies nur personenbezogen möglich ist. Die Ausnahmegenehmigung stellt auch keine - grundsätzlich zulässige - Modifikation der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 StVO dar. Zwar können gemäß der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 2 StVO die zuständigen obersten Landesbehörden von allen Bestimmungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften Abweichungen zulassen, i.e. auch bezüglich der lichten Breite von Radwegen. Dies hat jedoch als Ausnahmeregelung das Vorliegen eines die Ausnahme rechtfertigenden, atypischen Sachverhalts zur Voraussetzung. Dieser ist indes nicht ersichtlich. Insbesondere fiskalische Erwägungen stellen bei Verkehrsregelungen, die zuvorderst der Verkehrssicherheit dienen sollen, keinen sachgerechten Umstand dar. Nähme man schließlich einen solchen Ausnahmetatbestand bei Erlass der Ausnahmegenehmigung an, so kann dies heute die Genehmigung nicht mehr rechtfertigen. Datiert die Genehmigung von 13. August 1998, so würde die weitere Annahme eines Ausnahmetatbestandes, die dann bereits fünf Jahre vorläge, offensichtlich das Verhältnis von Regel und Ausnahme umkehren, der permanente Ausnahmezustand zur Dauereinrichtung. Dies war aber mit der Ausnahmegenehmigung seinerzeit auch nicht intendiert, wenn dort ausgeführt wird, die Radwege müssten zum nächstmöglichen Zeitpunkt so ausgebaut werden, dass sie den Mindestanforderungen an die lichte Breite genügen. Dies ist offenbar nach nunmehr fünf Jahren immer noch nicht geschehen.

..."

Ein wenig lustig ist dabei noch der Hintergrund des im Berliner Urteil verwendeten "Busspur-Urteil" des BVerwG vom 27.01.1993 - 11 C 35.92, NJW 1993, 1729. Hier hatte das BVerwG eine Bussonderspur tapfer gegen die Begehrlichkeit eines Autofahrers verteidigt, was ja eine etwas andere Ausgangssituation als bei den Benutzungspflicht-Klagen der Radfahrer (gegen die Pflicht zur Benutzung der zu schmalen Sonderspur) ist.

Klagebefugnis und Widerspruchsfrist [Nachlieferung 2003]

Zur Inhaltsübersicht

Besondere Probleme bereiteten in der Vergangenheit die Fragen zu Klagebefugnis und Widerspruchsfrist. Hier pflegte bis 2010 offenbar jedes Gericht seine eigene Tradition und das BVerwG wurde erst im 21. Jahrhundert auf dieses Dickicht angesetzt.

Manche Entscheidungen zur Widerspruchsfrist wirken denn auch eher wie Kaffesatzleserei. So ging z.B. der VGH Kassel mit dem Beschluß vom 05.03.1999 - 2 TZ 4591/98, NJW 1999, 1651 und dem Urteil vom 31.03.1999 - 2 UE 2346/96, NJW 1999, 2057 von einer einjährigen Widerspruchsfrist aus, die mit der Aufstellung des Zeichens bzw. ausnahmsweise mit der Umdeutung des schon stehenden Verkehrszeichens innerhalb der Behörde zu laufen beginnen sollte. Dabei schloß der VGH aus dem Urteil des BVerwG vom 11.12.1996 - 11 C 15/98, NJW 1997, 1021 zur Frage der Bekanntgabe ohne Kenntnisnahme messerscharf, es käme für den Fristbeginn nun nicht mehr darauf an, ob der Verkehrsteilnehmer selbst einmal das Verkehrszeichen zu Kenntnis nehmen könne. Allerdings übersah er dabei, daß das BVerwG ein geparktes Auto für die Bekanntgabe eines neuen Parkverbots kurzerhand wie den Briefkasten für einen schriftlichen Verwaltungsakt verwendete - also der Verkehrsteilnehmer wenigstens als Halter einmal betroffen war (vgl. hierzu auch Bitter / Konow, "Bekanntgabe und Widerspruchsfrist bei Verkehrszeichen", NJW 2001, 1386). Was für eine unsinnige Haarspalterei. Denn zumindest in seinen veröffentlichten Entscheidungen hat das VGH Kassel die Widerspruchsfrist jeweils als gewahrt angesehen.

Nachtrag 2007: inzwischen rudert der 2. Senat des VGH Kassel nach heftiger Kritik beschämt zurück (Beschluß des VGH Kassel vom 29.10.2007 - 2 UZ 1864/06:

"Soweit die Klage vom Verwaltungsgericht hinsichtlich der vor dem 8. September 2004 bekannt gegebenen Überholverbote als unzulässig abgewiesen wurde, begegnet die hierfür tragende Begründung der Vorinstanz, nach Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO sei das jeweilige Verkehrsschild für jedermann unanfechtbar, ernstlichen Richtigkeitszweifeln im vorstehend dargelegten Sinn. Diese Rechtsauffassung steht weder im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch – wie irrtümlich vom Verwaltungsgericht angenommen – mit derjenigen des beschließenden Senats. Danach beginnt die Anfechtungsfrist einer durch Verkehrszeichen bekannt gegebenen verkehrsregelnden behördlichen Anordnung für einen Verkehrsteilnehmer erst dann, wenn er sich der Regelung des Verkehrszeichens erstmalig gegenüber sieht (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 46.78 –, BVerwGE 59, 221 = NJW 1980, 1640 = DVBl. 1980, 299 = DÖV 1980, 308 = VkBl. 1980, 237 = Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr.6), m. a. W., wenn der Verkehrsteilnehmer erstmalig in die konkrete, geregelte örtliche Verkehrssituation gerät und dadurch zum Adressaten der verkehrsbehördlichen Anordnung wird (siehe auch: BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1996 – 11 C 15.95 –, BVerwGE 102, 316 = NJW 1997, 1021 = DVBl. 1998, 93 = DÖV 1997, 506 = DAR 1997, 119 = NZV 1997, 246 = VkBl. 1997, 319 = VRS 93, 149 = Buchholz 442.151 § 39 StVO Nr. 3; Hess. VGH, Urteil vom 31. März 1999 – 2 UE 2346/96 –, NJW 1999, 2057 = DAR 1999, 328 = NZV 1999, 397 = VR 2000, 209; Dederer, Rechtsschutz gegen Verkehrszeichen, NZV 2003, 314, m. w. N.)."

Ein Mißverständnis also - aha!

Nachtrag 2010: die Sache mit der Widerspruchsfrist ist inzwischen (nach einem Umweg über das BVerfG - Beschluß des BVerwG vom 23.06.2009 - 3 St 1.09 (nv); Beschluß des BVerfG vom 10.09.2009 - 1 BvR 814/09) endgültig geklärt: Urteil des BVerwG vom 23.09.2009 - 3 C 32.09; Urteil des BVerwG vom 23.09.2009 - 3 C 37.09: ein Jahr ab erster Betroffenheit!

Aber auch die Klagebefugnis war offenbar kein Selbstgänger. Das Urteil des VG Hamburg vom 29.11.2001 - 20 VG 1279/2001, NZV 2002, 290 zur Benutzungspflicht ("Erstes Hamburger Radwegeurteil" / "Eppendorfer Landstraße") wurde vom OVG aufgehoben und die Klage abgewiesen, da der Kläger nicht klagebefugt sei (OVG Hamburg, Urteil vom 04.11.2002 - 3 Bf 23/02, NZV 2003, 351). Er wohne nicht in der Straße. Wegen der doch sehr weitgehenden Abweichung von einigen seinerzeit Aufsehen erregenden o.g. Entscheidungen des VGH Kassel (Beschluß vom 05.03.1999 - 2 TZ 4591/98, NJW 1999, 1651 und Urteil vom 31.03.1999 - 2 UE 2346/96, NJW 1999, 2057) wurde die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen und auch eingelegt. Zur Rechtmäßkeit der Benutzungspflicht mußte das OVG sich bei diesem, wie man sagt, "Prozeßurteil" nicht äußern. Immerhin wurde dem Kläger zugestanden, es später gerne noch einmal zu versuchen, weil die für ihn geltende Widerspruchsfrist erst mit dem Beginn der "qualifizierten" Betroffenheit - also nach Zuzug am Übelort - zu laufen beginne.

Die Revision hatte Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hob mit Urteil vom 21.08.2003 - 3 C 15.03, NZV 2004, 52 das Berufungsurteil auf und verwies das Verfahren zur Sachentscheidung an das OVG Hamburg zurück.

Die Begründung des Revisionsurteils bestätigt im Ergebnis und z.T. auch in der Begründung (jedenfalls hinsichtlich der Klagebefugnis) den Aufsatz des Bonner Privatdozenten Dr. Hans-Georg Dederer, "Rechtsschutz gegen Verkehrszeichen - Klagebefugnis und Widerspruchsfrist bei der Anfechtung von Verkehrsregelungen durch Verkehrszeichen", NZV 2003, 314. Dort lautet unter der Inhaltsangabe:

"Der Beitrag setzt sich mit einem jüngst ergangenen Urteil des OVG Hamburg (in diesem Heft) kritisch auseinander, welches die gegen eine Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen gerichtete Anfechtungsklage wegen fehlender Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen hat. Für das höchstrichterlich ungeklärte Problem der Klagebefugnis bei der Anfechtung von Verkehrsregelungen durch Verkehrszeichen wie für die in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortete Frage nach dem Beginn der Widerspruchsfrist soll nachfolgend ein Lösungsvorschlag entwickelt werden."

zwei Seiten weiter das - im Text erschöpfend begründete - wesentliche Ergebnis:

" 1. Nach der so genannten "Adressatentheorie" sind Verkehrsteilnehmer zur Anfechtungsklage gegen eine bestimmte Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen i.S. des § 42 II VwGO klagebefugt, wenn sie nach ihrer Darlegung tatsächlich mindestens einmal in die "konkrete örtliche Verkehrssituation" geraten sind, für welche die in Gestalt des Verkehrszeichens verlautbarte, an sie als Verkehrsteilnehmer gerichtete "situationsbezogene Verkehrsregelung" gilt.

2. Die gem. §§ 70 II , 58 II 1 VwGO einjährige Widerspruchsfrist beginnt nach § 70 I 1 VwGO gegenüber einem Verkehrsteilnehmer zu laufen, sobald der Verkehrsteilnehmer erstmalig in die “konkrete örtliche Verkehrssituation” gerät, dadurch zum Adressaten der “situationsbezogenen Verkehrsregelung” wird und das Verkehrszeichen subjektiv wahrnimmt bzw. bei Beachtung der nach § 1 StVO gebotenen Sorgfalt wahrnehmen könnte."

Dederer folgt dem OVG Hamburg immerhin in dessen Einschätzung, daß es einen inneren Zusammenhang zwischen Klagebefugnis und Widerspruchsfrist gibt, befürwortet aber niedrigere Anforderungen für die Klagebefugnis. Man kann es wohl so zusamenfassen: sobald man die Klagebefugnis erwirbt, läuft die Anfechtungsfrist an (in manchen Bundesländern wie z.B. Niedersachen die Klagefrist, im übrigen die Widerspruchsfrist).

Es geht aber auch einfacher!

Zur Bedeutung der Widerspruchsfrist heißt es in den Urteilen des VG Berlin vom 03.07.2003 - VG 27 A 241.01, 246.01, 247.01, 299.01 nahezu gleichlautend:

"Die Anfechtungsklage ist zulässig. Auf die Einhaltung der Widerspruchsfrist kommt es nicht an, da sich der Beklagte im vorliegenden Verfahren rügelos zur Sache eingelassen hat. Im Übrigen teilt die Kammer nicht die vom Beklagten in Parallelverfahren vertretene Auffassung, die Jahresfrist nach §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO beginne mit Aufstellen eines Verkehrszeichens (vgl. dazu Urteile vom heutigen Tag - VG 27 A 11.02 und 12.02 -)."

Damit bewegt sich das VG Berlin jedenfalls im Rahmen der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur "rügelosen Einlassung zur Sache" (vgl. z.B. VGH Mannheim, Urteil vom 14.03.2001 - 8 S 1989/00, NVwZ-RR 2002, 6: "Heilung des Mangels der Versäumung der Widerspruchsfrist").

Aber es kommt noch besser (Urteile des VG Berlin vom 03.07.2003 - VG 27 A 11.02 und 12.02):

"Entscheidungsgründe

...

a) Die Anordnung der Zeichen 237 ist - entgegen der Auffassung des Beklagten, der von der Unzulässigkeit des Widerspruchs vom 14. Juni 2001 wegen Verspätung ausgeht - nicht in Bestandskraft erwachsen. Der Widerspruch war nicht verspätet.

Die Kammer orientiert sich für die Frage des Beginns der Anfechtungsfrist bei Verkehrszeichen (§ 57 Abs. 1 VwGO) weiterhin an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1979 - 7 C 46.78 - (in: BVerwGE 59, 221). Danach beginnt die Anfechtungsfrist zu laufen, wenn ein Verkehrsteilnehmer sich erstmalig der Regelung eines Verkehrszeichens gegenübersieht (vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 1983 - 1 BA 98/82 - in: VRS 66, 232). Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dessen Urteil vom 31. März 1999 - 2 UE 2346/96 - in: NJW 1999; 2057; siehe auch Eyermann/ Fröhler, VwGO, 11. Auflage, § 58 Rz. 14), der auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Wirksamwerden von Verkehrszeichen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Dezember 1996 - 11 C 15/95 - in: BVerwGE 101, 316) davon ausgeht, dass die einjährige Klagefrist des § 58 Abs. 2 VwGO grundsätzlich mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens gegenüber allen Verkehrsteilnehmern in Gang gesetzt werde, so dass es nicht (mehr) darauf ankomme, wann der einzelne Kraftfahrer die konkrete Möglichkeit hatte, das Verkehrszeichen zur Kenntnis zu nehmen. Zur Begründung führt der Hessische Verwaltungsgerichtshof aus, für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten in der Gestalt von Verkehrszeichen enthalte das Straßenverkehrsrecht besondere Vorschriften, die die allgemeinen Bekanntgabebestimmungen verdrängten. Danach würden Verkehrsgebote und -verbote grundsätzlich durch Aufstellen von Verkehrszeichen bekannt gemacht (vgl. §§ 39 Abs. 2 und 2 a sowie 45 Abs. 4 StVO in der Fassung der Verordnung vom 7. August 1997, BGBI. I S. 2028). Werde aber eine Verkehrsregelung mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens gegenüber allen potentiell betroffenen Verkehrsteilnehmern - unabhängig von der tatsächlichen oder möglichen Kenntnisnahme - im Sinne des § 43 Abs. 1 VwVfG wirksam, müsse durch das Aufstellen des Verkehrszeichens auch die Anfechtungsfrist in Gang gesetzt werden, mit der Folge, dass Verkehrszeichen grundsätzlich nur innerhalb eines Jahres seit ihrer Aufstellung mit Widerspruch oder Klage zulässigerweise angefochten werden können. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn etwa eine Verkehrsregelung ohne Änderung des sie verkörpernden Verkehrszeichens inhaltlich geändert werde, weil z.B. einer Verkehrsbeschränkung rechtsgüterbezogen ein anderer Schutzzweck zugeordnet werde, sei von diesem Grundsatz abzuweichen.

Diese Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vernachlässigt den Charakter des Verkehrszeichens als Dauerverwaltungsakt. Bei Verkehrszeichen als Dauerverwaltungsakten besteht jederzeit die Möglichkeit, dass eine ursprünglich im Zeitpunkt der Anordnung rechtmäßige Verkehrsbeschränkung durch Änderung der Verkehrslage oder sonstiger tatsächlicher Umstände mit der Zeit rechtswidrig wird. Folgte man bezüglich der Anfechtungsfrist der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, so hätte dies zur Konsequenz, das rechtswidrig gewordene Verkehrszeichen, die nicht mehr ihren ursprünglichen Zweck der Gefahrenabwehr erfüllen - und möglicherweise sogar durch den nicht mehr der Verkehrslage entsprechende Regelungsgehalt selbst zur Gefahrenquelle geworden sind - vom Verkehrsteilnehmer ohne jegliche Rechtsschutzmöglichkeit (Art. 19 Abs. 4 GG) - und bei Androhung der Ordnungswidrigkeit - befolgt werden müssten.

Der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich im Übrigen in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 1996 (- 19 C 15/95 - a.a.O.), auf welche sich der Hessische Verwaltungsgerichtshof bezieht, nicht zur Frage der Anfechtungsfrist bei Verkehrszeichen, sondern lediglich zum Begriff der Bekanntgabe geäußert. Zwar bezieht der 11. Senat sich in dieser Entscheidung auch auf die oben genannte Entscheidung des 7., Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1979 (- 7 C 46.78 - a.a.O.), erklärt dabei indes ausdrücklich, der Umstand, dass Verkehrszeichen ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer äußerten, gleichgültig ob er sie tatsächlich wahrnehme, stehe nicht im Widerspruch zu der Aussage vom 13. Dezember 1979, wonach ein Verkehrsteilnehmer erst dann von dem Verwaltungsakt betroffen werde, wenn er sich erstmalig der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersehe. Die Kammer geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass die Bekanntgabe eines Verkehrszeichens für sich genommen für den Beginn der Anfechtungsfrist nicht ausreicht, sondern zusätzlich die Betroffenheit von der darin verkörperten Regelung, d.h. das objektive Einbezogensein in ihren Wirkungskreis, hinzukommen muss. Dabei kommt es dann auf die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen nicht mehr an.

Lässt sich schließlich in der Praxis die Erstmaligkeit der Betroffenheit durch ein Verkehrszeichen nur schwer feststellen, so mag dies faktisch die permanente Anfechtbarkeit von Verkehrszeichen zur Folge haben. Dem hier denkbaren Einwand fehlender Rechtssicherheit auf Seiten der Straßenverkehrsbehörde und der Möglichkeit einer missbräuchlichen Ausnutzung des Rechtsschutzes - wenn beispielsweise jemand nach jahrelanger Akzeptanz eines Verkehrszeichens plötzlich ohne besonderen Grund dagegen vorgeht - lässt sich mit dem Hinweis auf die mögliche Verwirkung von Klagerechten begegnen. Im vorliegenden Fall indes besteht dafür kein Anhaltspunkt.

... "

Rebler, Nochmals: Der Rechtsschutz im Bereich verkehrsbehördlicher Anordnungen, BayVBl. 2004, 555 (u.a. Besprechung des Urteils des BVerwG vom 21.08.2003 - 3 C 15.03) setzt noch eines drauf. Seines Erachtens läuft mit jeder Konfrontation mit einem Ver-/Gebotszeichen eine neue Widerspruchsfrist an (vgl. Kapitel 4. „Mehrmaliges" Anlaufen der Widerspruchsfrist, a.A. BVerwG: Urteil des BVerwG vom 23.09.2009 - 3 C 32.09; Urteil des BVerwG vom 23.09.2009 - 3 C 37.09: ein Jahr ab erster Betroffenheit! ). Das Problem, daß jeder Verkehrsteilnehmer zig Widerspruchs- und Klageverfahren gegen ein einziges Verkehrszeichen anstrengen könnte, wird zwar erwähnt, aber unter Hinweis auf das mangelnde Rechtsschutzbedürfnis für den zweiten und jeden weiteren Widerspruch als wenig bedrohlich angesehen. Tatsächlich wären zig Verfahren unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer wohl bedrohlicher für die Verwaltung - und hier eine Einschränkung nicht mehr denkbar. In der Praxis kommt jedoch ohnehin weder das Eine noch das Andere vor. Ganz im Gegenteil sind die Straßen mit rechtswidrigen Z 237, 240 und 241 gepflastert, die ihren Kläger noch suchen!

Das VG Hannover (Urteil des VG Hannover vom 23.07.2003 - 11 VG 5004/01) ist zwar anderer Auffassung, d.h. hält einen Widerspruch nach mehr als einem Jahr nach der ersten Konfrontation mit dem Verkehrsschild für verfristet, kommt aber (am Ende) bei der Abarbeitung eines hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrages zu einem Sachurteil über das angegriffene Zeichen 240. Dabei setzt sich das VG Hannover allerdings über die rügelose Einlassung des Landkreises (als Entscheidungsbehörde anstelle der beklagten Gemeinde) zur Sache hinweg (was zwar immer wieder vorkommt, aber nicht der ständigen Rechtsprechung des BVerwG entspricht).

Dagegen liegt das VG Göttingen (Urteil des VG Göttingen vom 27.11.2003 - 1 A 1228/01 - rechtskräftig - zur Radwegebenutzungspflicht) in dieser Frage auf einer Linie mit den Urteilen des VG Berlin vom 03.07.2003 - VG 27 A 241.01, 246.01, 247.01, 299.01: "Da im angegriffenen Widerspruchsbescheid des Landkreises R. die Einwendungen des Klägers sachlich beschieden worden sind, kann dahinstehen, ob der Kläger die beanstandeten Verkehrszeichen durch den eingelegten Widerspruch rechtzeitig im Sinne der §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO angefochten hat (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1989, 85 f.)." In diesem Sinne auch das Urteil des VG Göttingen vom 27.11.2003 - 1 A 1196/01 - Rechtskraft unbekannt - zur Radwegebenutzungspflicht.

Extrem auf der Linie der früheren Entscheidungen des Hessischen VGH (VGH-Beschluß vom 05.03.1999 - 2 TZ 4591/98, NJW 1999, 1651 und VGH-Urteil vom 31.03.1999 - 2 UE 2346/96, NJW 1999, 2057) liegt die Auffassung des VG Freiburg (Breisgau). In Kenntnis des Urteils des BVerwG vom 21.08.2003 - 3 C 15.03 urteilte es über die Klage gegen eine Tempo 30-Zone und kam zu der Auffassung, sogar eine zukünftige mögliche Betroffenheit gebe dem Kläger eine Klagebefugnis, lasse aber auch ohne Kenntnisnahme die Widerspruchsfrist mit Aufstellung des Verkehrszeichens anlaufen (Urteil vom 18.05.2004 - 4 K 414/02). Die Kaffeesatzleserei geht also weiter.

Insgesamt sind wir aber einen großen Schritt weiter. Verkehrszeichen sind nicht adressatenlos sondern richten sich an jeden einzelnen von ihnen betroffenen Verkehrsteilnehmer als Adressaten - wohl (und das ist eben immer noch nicht sicher) mit der ersten Konfrontation als Zeitpunkt der Bekanntgabe/Betroffenheit - mit allen Folgen für die Klagebefugnis und die Widerspruchsfrist. Letztere ist inzwischen sowieso ein eher akademisches Thema, das den Blick auf den jämmerlichen Zustand vieler benutzungspflichtiger Radverkehrsanlagen nicht verstellen sollte. In der Praxis dürften zwar noch einige Behörden Zuflucht bei der Verfristung suchen. Nützen dürfte ihnen das aber nichts mehr, wie das nächste Kapitel zeigt.

Gefährlicher könnte da schon die Frage der Klagebefugnis sein, die neuerdings gerne in die Prüfung der Begründetheit der Klage eingebaut wird. Es könnte also sein, daß einem die formale Klagebefugnis zugesprochen wird, aber am Ende geurteilt wird, daß die Intensität der Beeinträchtigung eigener Rechte aufgrund seltener Nutzung einer Straße zu gering ist, um eine Änderung zu rechtfertigen. Alles klar? Nein? Macht nichts. Rechtsanwälte brauchen schließlich auch Arbeit.

Nachlieferung 2004: Verpflichtungsklagen und Bescheidungsurteile

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Das VG Hannover interpretierte mit Urteil vom 23.07.2003 - 11 A 5004/01, NZV 2005, 223 die seiner Meinung nach verspätete Klage konsequent nicht als Anfechtungsklage, sondern - aufgrund eines Hilfsantrages - als Verpflichtungsklage, die im wesentlichen auf eine Neubescheidung gerichtet bzw. beschränkt sei, weil es nach der VwV-StVO mehrere Lösungen gibt, unter denen die beklagte Gemeinde - unter Berücksichtigung der Rechtssätze des Gerichts - auswählen könne. Das VG Berlin folgte mit Urteil vom 12.11.2003 - 11 A 606.03, NZV 2003, 486 einem reinen Verpflichtungsantrag, der nicht nur wegen der Bestandskraft gestellt wurde, sondern auch aus der Sorge, der sehr starke Kfz-Verkehr auf der Fahrbahn würde beim Gericht Eindruck machen und eine Anfechtungsklage scheitern lassen. Ähnlich wie das VG Hannover urteilte das VG Freiburg (Breisgau) sogar ohne Hilfsantrag, wobei es meinte, der Klagantrag der Anfechtungsklage umfasse auch einen Antrag auf bestimmtes Handeln der Behörde - also einen Verpflichtungsantrag (Urteil vom 18.05.2004 - 4 K 414/02). Auch wenn der Kläger beim VG Freiburg mit der Klage gegen eine Tempo 30-Zone scheiterte, kann er für sich verbuchen, daß das VG sich mit der Sache inhaltlich beschäftigt hat.

Für viele Radfahrer dürfte es vergleichsweise schwierig sein, in ihrem nahen Umfeld jetzt noch fristgerecht einen Widerspruch gegen eine (schon länger bekannte) Benutzungspflicht einzulegen (Ausnahme: ein Jahr nach Umzug in einen anderen Stadtteil oder eine andere Stadt), es sei denn, die Gerichte folgten Rebler, "Nochmals: Der Rechtsschutz im Bereich verkehrsbehördlicher Anordnungen", BayVBl. 2004, 555. Dies könnte nun dazu verführen, Widersprüche irgendwo anders einzulegen. Nur dürfte der Widerspruchsführer dann die Situation vor Ort kaum richtig einschätzen können und Veränderungen der Situation wohl auch kaum zeitnah erfassen.

Also ist es doch besser, sich mit den Schildern vor der eigenen Tür zu befassen. Nur darf man dann nicht einfach platt die Wegnahme des Schildes verlangen, sondern zunächst Verbesserungen des Radweges oder aber die Durchsetzung von Parkverboten oder die Einschränkung von Sondernutzungen, die den Radweg blockieren oder auch nur den Gehweg und dabei Fußgänger auf den Radweg treiben usw. Das hat den Vorteil, daß die Behörden die Gesamtsituation noch einmal genau überprüfen müssen und ihnen dabei Fehler des Radweges kaum entgehen können (wurden sie auf diese doch gerade hingewiesen). Es könnte also sein, daß zugeparkte Radwege plötzlich abgepollert werden oder Händler ihre Verkaufsstände plötzlich auf dem Sperrmüllwagen entschwinden sehen (schön wär’s). Aus diesem Grund ist die Beschäftigung mit den o.g. Urteilen der VG Hannover, Berlin und Freiburg (Breisgau) unter dem Aspekt: "Wie bekomme ich trotz bestandskräftigem Verkehrszeichen eine Sachentscheidung?" gerade für Radfahrer sehr interessant. Denn eine Überprüfung des Radweges und der Benutzungspflicht hat jederzeit zu erfolgen, wie sich – speziell für Radwege - aus der VwV-StVO ergibt:

"Die Straßenverkehrsbehörde, die Straßenbaubehörde sowie die Polizei sind gehalten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Radverkehrsanlagen auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu prüfen und den Zustand der Sonderwege zu überwachen. Erforderlichenfalls sind von der Straßenverkehrsbehörde sowie der Polizei bauliche Maßnahmen bei der Straßenbaubehörde anzuregen." (VwV-StVO zu § 2 Absatz 4 Satz 2 lit. IV)

Aber auch ganz allgemein kann der Anspruch auf eine Verbesserung des benutzungspflichtigen Radweges aus der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (aller Instanzen!) abgeleitet werden:

BVerwG

22.01.1971

VII C 48.69

BVerwGE 37, 112

Zum Anspruch auf Vornahme verkehrsbehördlicher Maßnahmen

OVG Lüneburg

04.11.1993

12 L 39/90

ND MBl 1994, 1052

Keine Anwendbarkeit der Regelungen über den Widerruf von Verwaltungsakten auf Vorschriftszeichen nach § 41 StVO

OVG des Saarlandes

25.01.2002

9 Q 49/01

ZfSch
2002, 361

Verkehrsrechtliche Anordnung - Zugänglichkeit eines Grundstücks für Rollstuhlfahrer

Wie diese Urteile zeigen, hat der von Dritten Gestörte ein Recht auf eine vernünftig begründete Ermessensentscheidung der zuständigen Straßenverkehrsbehörde. Nun haben in den o.g. Fällen immer Anwohner geklagt, was aber bei der Forderung nach ggf. Dritte einschränkenden Maßnahmen grundsätzlich nachvollziehbar ist. Die Meßlatte für eine Entscheidung zugunsten der Kläger liegt angesichts der vielerorts noch immer üblichen Horror-Radwege nicht zu hoch, wenn denn der Kläger wirklich radfährt und verlangt, Parkplätze oder Sommerterrassen von Radwegen abzurücken. Die für den Kläger negative Entscheidung des OVG Lüneburg vom 04.11.1993 - 12 L 39/90 ergibt sich aus der Natur der Sache, betrifft aber nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern ihre Begründetheit (es war im Urteilsfall schon frech, eine Vollsperrung der Straße vor dem eigenen Grundstück zu fordern). Da gibt es für Radfahrer noch viel zu gewinnen. Die Urteile des VG Hannover vom 23.07.2003 – 11 A 5004/01, NZV 2005, 223 und des VG Berlin vom 12.11.2003 – VG 11 A 606.03, NZV 2004, 486 sowie der Beschluß des OVG Lüneburg vom 05.12.2003 - 12 LA 467/03, VkBl 2004, 181 und VerkMitt 2004 Nr 46 stehen deshalb in einer guten Tradition und können auch durch eine Änderung der VwV-StVO in diesem Punkt kaum noch unterlaufen werden. Manche Radwege werden ihre Schilder behalten, aber dafür kann der Radfahrer einen Radweg in ordnungsgemäßem Zustand einfordern. Wollen wir wetten, daß diese Verpflichtung vielen Schildern ein Ende bereiten dürfte? Das würde ja auch besser zu § 45 Abs. 9 StVO passen!

Im Ergebnis ist eine erfolgreiche Verpflichtungsklage nur formal weniger wert als eine erfolgreichen Anfechtungsklage (was von Juristen immer als Nachteil ins Feld geführt wird). Die Bindungwirkung eines Urteils aufgrund einer Anfechtungsklage ist unter Berücksichtigung des § 45 StVO viel geringer, als § 121 VwGO vermuten lassen würde. Der Beklage kann in beiden Fällen mit Bauarbeiten, d.h. Radwegsanierungen reagieren und die Benutzungspflicht erfolgreich halten.

Inhaltlich verspricht die Verpflichtungsklage bei schlechten Oberflächen und insbesondere bei zugeparkten oder durch geparkte Kfz vergällten Radwegen beste Ergebnisse. Die Straßenverkehrsbehörden können verpflichtet werden, eine Sanierung herbeizuführen oder die Benutzungspflicht aufzuheben. Denn spätere Sanierungsrückstände sind bei Ablauf der Anfechtungsfrist naturgemäß nicht vorhersehbar. Ganz besonders schön ist die Kombination: Radwegeschilder weg oder Poller hin. Denn hierbei liegt die Entscheidung ganz alleine bei den Straßenverkehrsbehörden, die sowohl die Schilder wegordnen als auch die Poller (als Verkehrseinrichtungen i.S.d. § 43 StVO) anordnen können. Hierauf wies dankenswerterweise Hamburgs Behörde für Inneres in ihrer "Fachanweisung Absperrelemente 1/02" hin. Ähnlich sehen es aber auch die Verwaltungsgerichte:

Urteil des VG Düsseldorf vom 20.11.2003 - 6 K 6183/02 (als pdf-Datei von dieser Seite);

Beschluß des OVG NRW - 8 B 468/03 (als pdf-Datei von dieser Seite);

und die Zivilgerichte:

Urteil des OLG Rostock vom 22.03.2001 - 1 U 144/99, MDR 2001, 1052, NVwZ-RR 2002, 170 bzw. VersR 2001, 1441 - Leitsatz 1: "Metallpfeiler, die zum Zweck der Verkehrsbeschränkung quer zur Fahrbahn auf einer gemäß Zeichen 260 für den Verkehr mit Krafträdern und Kfz verbotenen Promenade aufgestellt sind, sind keine Verkehrshindernisse gem. § 32 StVO, sondern - zulässige - Verkehrseinrichtungen gem. § 43 StVO".

Und das bedeutet, daß die Straßenverkehrsbehörden notfalls zwischen Radweg und Parkplätzen wählen und diese Entscheidung mit den ihnen gegebenen Mitteln auch folgerichtig umsetzen können - und dazu mit einer Ermessensreduzierung auf nahezu Null (im Vordergrund darf alleine die Sicherheit des Radverkehrs stehen) auch verpflichtet sind. Pollersetzen ist keine politische Entscheidung, sondern eine notfalls einklagbare Entscheidung der Straßenverkehrsbehörden, wobei der Schwerpunkt auf der Entscheidung zwischen Radweg und Parkplatz liegen dürfte.

"Schulwegsicherung" durch Benutzungspflicht?

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Das beliebte Argument der Schulwegsicherung kann die Erforderlichkeit der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nicht begründen. Schulwegsicherung klingt zwar gut - wer will schon Kinder gefährden -, macht aber die Ermessensentscheidung über die Benutzungspflicht häufig rechtswidrig. Mit der Fahrradnovelle der StVO wurde der § 2 Abs. 5 StVO im Hinblick auf die der Änderung des § 2 Abs. 4 StVO geändert. Danach dürfen nun auch Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr Gehwege mit Fahrrädern befahren. Das ist m.E. eine abschließende Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von radfahrenden Kindern (a.A. offenbar VG Göttingen, Urteil vom 27.11.2003 - 1 A 1228/01 unter Bezugnahme auf die Hinweise zur Beschilderung von Radwegen nach der Allgemeinen Verwaltungsanordnung zur Straßenverkehrs-Ordnung - Stand 1998 - (Hinweise 98) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) - dort allerdings ohne nähere Begründung oder auch nur Nennung der einschlägigen Normen). Wenn diese Änderung nicht reicht, muß der Normgeber § 2 Abs. 5 StVO eben noch einmal ändern. Eine § 2 Abs. 5 StVO entgegenstehende - zunächst einmal persönliche - Ansicht des Sachbearbeiters in der Straßenverkehrsbehörde über die Schutzbedürftigkeit radfahrender älterer Kinder darf die Ermessensentscheidung nicht beeinflussen. Ich bin jedenfalls kein Kind und werde eine rechtswidrige Beschneidung meiner Rechte und Gefährdung meiner körperlichen Unversehrtheit und meines Lebens durch die Benutzungspflicht für ungeeignete Radwege nur deshalb, weil ich dasselbe Fahrzeug wie Kinder benutze, nicht widerspruchslos hinnehmen.

Dieser Absatz - im Jahr 2000 geschrieben - wurde nun vom VG Düsseldorf mit Urteil vom 20.11.2003 - 6 K 6183/02 (als pdf-Datei von dieser Seite) eindrucksvoll bestätigt. Das Urteil, in dem es um die Sperrung der Einfahrt einer Straße durch Sperrpfosten ging, läßt sich wie folgt zusammenfassen:

§ 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den voranstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Die Möglichkeit von Verkehrsunfällen gerade mit Schülern besteht allgemein und führt nicht zur Annahme einer örtlich bedingten besonderen Gefahrensituation.

Solche Urteile dürften langfristig auch vor Schulen den unsäglichen Benutzungspflichten - insbesondere durch die besonders dummen Zeichen 240 - ein Ziel setzen.

Alternativen zur Benutzungspflicht: Geschwindigkeitbeschränkung

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Wenig beachtet wird, daß schon deshalb nicht jeder Bonsaibürgersteig zur Radverkehrsanlage verkommen muß, weil es viele Möglichkeiten gibt, eine Gefahrenlage zu entschärfen (wenn sie denn wirklich besteht und nicht nur in den Köpfen der Entscheider existiert). Es bieten sich Umgestaltungen der Fahrbahn an, aber auch - ganz einfach und wirkungsvoll - Geschwindigkeitsbeschränkungen, zu denen die VwV-StVO ggf. ausdrücklich rät (vgl. VwV-StVO zu Zeichen 274 Ziffer I.2.b). Eine hohe Gefährdung der Radfahrer auf der Fahrbahn bedeutet daher noch lange nicht, daß die Radfahrer zu den Fußgängern gesperrt werden dürfen - mal abgesehen davon, daß dadurch oft eine Gefahr gegen die nächste ausgetauscht wird. Das Schwierigste ist scheinbar, die notwendigen Geschwindigkeitsbeschränkungen durchzusetzen und dann auch noch wiedergewählt zu werden.

"Service-Lösung"

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Nicht neu, aber seit Mitte 1998 auf dem Vormarsch ist die Kombination Zeichen 239/Zusatzzeichen 1022.10 [Fußgänger (Gehweg)/Radfahrer frei (siehe links), in Hamburg Service-Lösung genannt]. Sie reichert den Schilderwald zumindest in Hamburg kräftig an, ohne daß man dagegen irgendetwas sagen könnte. Es ist ja nur ein Angebot! Ich jedenfalls bin dankbar für jede dieser Kombinationen, da nicht selten an der gleichen Stelle bisher das Zeichen 240 [gemeinsamer Fuß- und Radweg] stand, das nach der Änderung der StVO wohl kaum noch als zeitgemäß angesehen werden kann (und innerorts eigentlich verboten ist - siehe hierzu die ERA 95 und die VwV-StVO zu Zeichen 240 - letztere noch eher milde - sowie ganz neu und offen die EFA 2002 - s.u.). Aber auch das Angebot kann möglicherweise eine Verpflichtung zur Nutzung auslösen (gem. § 1 StVO, s. o.). Da man den freigegebenen Gehweg aber nur mit Schrittgeschwindigkeit befahren darf (§ 41 Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe e StVO) dürfte eine solche Verpflichtung wirklich nur diejenigen treffen, die ihr Rad als Gehhilfe nutzen wollen (das sind in Hamburg allerdings nicht zu wenige Leute).

Nachtrag 2003:
Maximal verträgliche Fußgänger und Radfahrerbelastung in der Spitzenstunde (Tabelle 1 aus den Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen, Ausgabe 2002 - EFA 2002)

Nutzbare Gehwegbreite

Σ Radfahrer + Fußgänger

Davon Fußgänger

> 2,50 - 3,00 m

70

≥ 40

> 3,00 - 4,00 m

100

≥ 60

> 4,00 m

150

≥ 100

D.h., daß die Breite des Bürgersteiges alleine über die Möglichkeit, darauf mit dem Fahrrad herumzufahren, nur wenig aussagt (wenn denn die Mindestbreite von 2,50 Meter überhaupt erreicht wird). Deshalb wird die Freigabe der Gehwege für den Radverkehr in Geschäftsstraßen oder an stärker frequentierten Bushaltestellen lt. EFA 2002 ausdrücklich nicht empfohlen. Dasselbe sollte eigentlich vor Schulen gelten (hier aber finden sich in Wirklichkeit die irrwitzigsten gemeinsamen Geh- und Radwege).

Und hier der für Radfahrer wichtigste Satz der EFA 2002: "Zur Vermeidung des Konfliktpotentials durch schnell fahrende Radfahrer (Gefährdung der Fußgänger, Knotenpunktproblematik) ist im Bereich angebauter Straßen die Regelung "Gehweg/Radfahrer frei" (Zeichen 239 in Verbindung mit Zeichen 1022-10 StVO) zu favorisieren, sofern Radverkehr auf der Fahrbahn noch vertretbar ist."

Nun muß sich der Radfahrer auch auf die EFA 2002 berufen. Die Empfehlungen "ERA 95" und "Hinweise" werden von den Verwaltungsgerichten z.T. schon benutzt, um Lücken der VwV-StVO zu schließen (z.B. vom VG Göttingen, Urteil vom 27.11.2003 - 1 A 1228/01). Bei dem genannten Urteil haben die EFA 2002 allerdings noch keine Rolle gespielt, obwohl sie im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon "auf dem Markt" waren und es in dem Verfahren z.T. auch um gemeinsame Geh- und Radwege (Zeichen 240) ging. Schade eigentlich!

Sage niemand, er habe es nicht gewußt. Die Unverträglichkeit zwischen Rad- und Fußgängerverkehr war schon vor 50 Jahren bekannt. Siehe dazu die Zeichnung "Vorsicht auf dem Arbeitsweg!" aus dem Bundesbahn-Unfallschutzkalender 1953:

Bundesbahn-Unfallschutzkalender 1953: Vorsicht auf dem Arbeitsweg!

Und seither sind Fußgänger nicht in dem Maße schneller geworden wie Radfahrer, was das Problem sicherlich weiter verschärfte.

Weitere Infos als fussnote 5 (gezipte .pdf-Datei selbstentpackend, 2 MB) von der Seite www.fussverkehr.de der AG Fußverkehr von SRL und FUSS e.V.

Bemerkungen zu linken Radwegen

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Die Ausschilderung linker Radwege gehört zu den unter Radfahrern - aber auch Fußgängern und Kfz-Fahrern - unbeliebtesten Anordnungen auf deutschen Straßen. Dies ist bei der Abfassung der VwV-StVO auch bedacht worden: "Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist mit besonderen Gefahren verbunden und deshalb aus Gründen der Verkehrssicherheit grundsätzlich nicht erlaubt." (VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 3 StVO II.1 Satz 1) Geht es noch eindeutiger? Der zitierte Satz wendet sich als Begründung und Programm an die Behörde - und nicht wie die Hamburger Baubehörde meint, an den Radfahrer (dem genügt ein Blick in die StVO). Auch die Begründung hierzu (BRat-Drs. 375/97 S. 27) gibt nicht mehr her. Weiter heißt es aber in den VwV-StVO: "Links angelegte Radwege können allerdings, wenn eine sorgfältige Prüfung nichts Entgegenstehendes ergeben hat, durch die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall mit Zeichen zur Benutzung durch die Radfahrer auch in Gegenrichtung freigegeben werden. Davon soll außerorts bei nur einseitig angelegten Radwegen in der Regel und innerorts nur in besonderen Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden.". Gut so. Ich mag in diesem Zusammenhang besonders die Wendung "besondere Ausnahmefälle". Sie hat nur leider nichts mit der Wirklichkeit zu tun.

Aber wie wird ein linker Radweg freigegeben? Die Kombination Zeichen 237 [Radweg], Zusatzzeichen 1000.31 [Zweirichtung] ist etwas radikal. Sie gibt nicht frei - sie ordnet an (§ 2 Abs. 4 S. 2 StVO: " Sie [Anm.: die Radfahrer] müssen Radwege benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237 [Radweg], 240 [gemeinsamer Fuß- und Radweg] oder 241 [getrennter Rad- und Fußweg; vom Gehweg abgetrennter Radweg] gekennzeichnet ist.."). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich gegenüber dem in Gegenrichtung zu nutzenden Radweg ein nicht benutzungspflichtiger Radweg (strittig) oder kein Radweg befindet. Die mildere Form, die z. B. in Hamburg (d. h. innerorts) zu finden ist, wird mit Zusatzzeichen zum Zeichen 220 [Einbahnstraße für Radfahrer in beiden Richtungen frei] (Bild 1) oder einem totalen Phantasiezeichen (Bild 2 von der Veloroute 3 - Eimsbüttel) realisiert. Ganz nett - aber erlaubt? Wir werden sehen...

Bild 1, Zusatzzeichen zu Zeichen 220 ohne Zeichen 220 Bild 2 von der Veloroute 3 - Eimsbüttel

Schilder wirklich wegmachen

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Das Urteil des VG Berlin vom 03.07.2003 - 27 A 13.02 betraf eine Leistungsklage, also keine Anfechtung eines Verkehrszeichens, sondern den Anspruch des Verkehrsteilnehmers, daß das weggeordnete Verkehrszeichen tatsächlich zeitnah auf den Müll kommen, und fällt daher sehr aus dem Rahmen - ist aber auch sehr interessant. Denn bis zum Tatsäslichen Abbau von Schildern vergeht leider oft viel Zeit, z.B. weil Lichtsignalanlagen neu programmiert werden müssen, um die Rämzeiten an den Radverkehr auf der Fahrbahn anzupassen. Aber man muß sich das nicht gefallen lassen.

Ferner machen zwei Beschlüsse des VG Berlin zum tatsächlichen Abbau weggeordneter Zeichen 237, 240 oder 241 (siehe Pressemitteilung Nr. 16/2002 des VG Berlin ) klagelustigen Radfahrern Mut.

Baustellen - temporäre Probleme und keine Lösung
[Nachlieferung 2005]

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Baustellen bieten immer wieder gerne genutzte Möglichkeiten, die Radfahrer davon zu überzeugen, daß ihre Interessen in den Amtsstuben keinen Anwalt haben - und die Verwaltungsgerichte machen es sich leicht. Es gibt keine Urteile, weil die Baustellen jeweils längst abgeräumt sind, bevor das Urteil kommt (wär' andernfalls ja noch schöner), und es angeblich kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gibt. Ergebnis: die Straßenverkehrs- und -baubehörden barbieren die Radfahrer immer wieder gnadenlos über den Löffel.

Urteil des Oberverwaltungsgericht Hamburg vom 10.11.1998 - Bf VI 12/96, VRS 97, 396, Text oder Kopie.

Da hilft vermutlich nur jeweils schnelles Handeln einschließlich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO (ein Versuch hierzu siehe: Baustellenbeschilderung Breite Straße - St.Pauli Fischmarkt Winter 2004/2005). Der Beschluß des VG Hamburg vom 06.04.2005 - 21 E 878/05 zeigt allerdings auch die Grenzen solchen Vorgehens auf. Stehen die Schilder schon länger als ein Jahr unangefochten an Ort und Stelle, hilft danach wohl nur ein Antrag auf Verhüllung oder Entwertung, weil die Widerspruchsfrist abgelaufen ist und die neue Situation keine neue Widerspruchsfrist auslösen soll. Ansonsten ist interessant, daß nach diesem Beschluß Selbsthilfe in Form der Nichtbeachtung von Verkehrsschildern dem Rechtsanspruch auf eine Eilentscheidung entgegensteht - jedenfalls, wenn die Polizei sich nicht wehrt.

Parken auf und neben Radwegen [Nachlieferung 2003]

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Ganz übel: Falschparker am /auf dem Radweg. Noch übler: Legalparker am /auf dem Radweg.

Die Polizei nimmt das Thema "Parken an /auf Radwegen" selbst bei benutzungspflichtigen Radwegen nicht ernst, aber die Radwege sind - trotz möglicherweise guter Papierform - unbrauchbar. Nähere Information dazu gibt es beim ADFC Hamburg: Kampagnenseite "Radweg oder Parkplatz" und die Pressemitteilung des ADFC vom 29.08.2003 zu einer Eingabe des ADCF-Landesverbandes Hamburg an die Hamburgische Bürgerschaft.

Wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt, können Radfahrer bei entsprechender Behinderung durch Falschparker durchaus einen Anspruch auf eine umfassende und fehlerfreie Ermessensentscheidung über straßenverkehrsbehördliche oder bauliche Maßnahmen haben. Den Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung hat das VG Berlin mit Urteil vom 12.11.2003 - VG 11 A 606.03, VRS 106, 153; NZV 2004, 486 mit Anm. Kettler S. 488 anerkannt. Speziell für Radwege gilt nämlich:

"Die Straßenverkehrsbehörde, die Straßenbaubehörde sowie die Polizei sind gehalten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Radverkehrsanlagen auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu prüfen und den Zustand der Sonderwege zu überwachen. Erforderlichenfalls sind von der Straßenverkehrsbehörde sowie der Polizei bauliche Maßnahmen bei der Straßenbaubehörde anzuregen." (VwV-StVO zu § 2 Absatz 4 Satz 2 lit. IV)

Danach könnte sogar, entsprechende Behinderung vorausgesetzt, das Abpollern des Radweges die einzig fehlerfreie Entscheidung sein, die man mit einer Verpflichtungsklage durchsetzen könnte (näheres siehe Kapitel:"Verpflichtungsklagen und Bescheidungsurteile" (Sprung zur Nachlieferung 2004: Verpflichtungsklagen und Bescheidungsurteile). Wenn jemand einmal hier diesen Anspruch durchsetzte, wären Radwege in Hamburg endgültig (und endlich) politisch unten durch.

Hamburger (Landes-)Gesetze, Verordnungen,
Anordnungen und Globalrichtlinen

mit Bezug zum Radverkehr in Straßen oder Grünanlagen
- immer aktuell

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Zum Straßenverkehrsrecht:

Anordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts des Senats vom 05.01.1999 (Amtlicher Anzeiger 1999, S. 345; Fundstelle in BS 0-923) mit späteren Änderungen.

Zum Straßen- oder Wegerecht:

Hamburgisches Wegegesetz (HWG) vom 22.01.1974 (HmbGVBl. 1974, S. 41; Fundstelle in BS 2136-1) mit späteren Änderungen;
Anordnung zur Durchführung des Hamburgischen Wegegesetzes des Senats vom 16.10.1973 (Amtl. Anz. 1973, S. 1377; Fundstelle in BS 0-2136-1) mit späteren Änderungen;
Globalrichtlinie: Haltestellen für Linienbusse in Stadtstraßen, Senatsbeschluß vom 28.10.2003 - gültig bis zum 28.10.2013;
Globalrichtlinie: Sondernutzung öffentlicher Wege, Senatsbeschluß vom 18.11.2003 - gültig vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2013;
Verordnung über das Wegereinigungsverzeichnis und die Reinigungshäufigkeit (Wegereinigungsverordnung) mit Wegereinigungsverzeichnis - VO in der Fassung vom 22. Januar 1974 (HmbGVBl. S. 41, 83) zuletzt geändert am 17. Dezember 2002 (HmbGVBl. S. 347, 352) bzw. (WV) Stand April 2004.

Zum Recht in Grün- und Erholungsanlagen:

Gesetz über Grün- und Erholungsanlagen vom 18.10.1957 (HmbGVBl. 1957, S. 2133; Fundstelle in BS 2137-1) mit späteren Änderungen;
Verordnung zum Schutz der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen vom 26.08.1975 (HmbGVBl. 1975, S. 154; Fundstelle in BS 2137-1-1) mit späteren Änderungen;
Anordnung über Zuständigkeiten im Gartenwesen vom 18.06.1970 (Amtl. Anz. 1970, S. 1078; Fundstelle in BS 0-2137-1) mit späteren Änderungen.

Zum Recht auf Friedhöfen (ja - auch da gibt's in Hamburg einige Radwege und sogar Fahrbahnen):

Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz) vom om 14.09.1988 (HmbGVBl. 1988, S. 167; Fundstelle in BS 2128-1);
Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung) vom 20.12.1988 (HmbGVBl. 1988, S. 303; Fundstelle in BS 2128-1-1);
jeweils mit späteren Änderungen.

Literatur und ausgewählte Links

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Weitere Literatur:

Ein paar Links zum Thema (nur eine Auswahl!):
StVO (pdf) von Juris, also aktuell und korrekt (auch der Bundesverkehrsminster das seit dem 13.04.2010 nicht mehr wahrhaben will)
VwV-StVO - von Juris, also aktuell und korrekt
Der erläuterte Verkehrszeichenkatalog - von www.sicherestrassen.de
eine Einführung in StVO und VwV-StVO vom ADFC-Schlewig-Holstein - sehr fundiert und verständlich (mit Download),
StVO zusammengestellt vom DVR,
Erläuterter Verkehrszeichenkatalog,
Dokumentation eines erfolgreichen Widerspruchs vom ADFC-Ortsverbandverband Weyhe,
Dokumentation einer erfolgreichen Klage vom ADFC-Kreisverband Diepholz,
Klage gegen Benutzungszwang auf Holper-Radwegen in Berlin von Philip Jacobs,
Fahrradnovelle (bebildert) von Peter de Leuw,
Pressemitteilungen des ADFC-Landesverbandes Hamburg,
StVO (incl. VwV) und Fahrrad (incl. der 10 Gebote und vieles mehr) von Bernd Sluka,
zur Einführung der erleicherten Ausweisung vom Tempo 30-Zonen Anfang 2001 und der Bedeutung für Radfahrer,
Petition von 2007 gegen die Radwegbenutzungspflicht - dazu Infos des Einreichers und seines Vereins "Cycleride",
Radweg oder Fahrbahn? (Oldenburger Radverkehrsanlagen),
AG Fußverkehr mit den "Fußnoten" zu Anforderungen an Gehwege ;

und noch zwei Seiten, die sich auffällig ;-) ähneln):

Umkehr e.V. (Arbeitskreis Verkehr und Umwelt),
Fuss e.V., der Fußgängerschutzverein.

Einige wichtige Urteile zu Radwegen und zur Benutzungspflicht

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Diese Seite wurde erstmals am 12.03.1999 ins Internet gestellt.
Diese Seite wurde aktualisiert am 23.01.2010